Besuch in der geliebten alten Schachtelstadt. Davor hatte ich ein wenig Angst; zu viele kleine Städte habe ich vor die Hunde gehen sehen. Aber, Überraschung, viel Bewährtes ist geblieben, viel Neues anders gut geworden.
Diese ganze Stadt ist kariert, Kopfstein und Treppen und Fachwerk und Fensterkreuze, die Dächer darüber ein Meer von Schiefer und Ziegeln. Zwischen all ihrem Stein findet sie immer noch Platz für Gärtchen, und sei's ein Rosenstock am Hauseingang. In jedem zweiten Haus hat Luther gewohnt, Brentano gedichtet, Herder einen großen Gedanken gedacht. Erstaunlich, daß die Touristenströme nie hierher gefunden haben.
Mein liebstes Antiquariat ist noch da, die Cafés, einige Kneipen; nur die Metzger gibt's nicht mehr, die Bäckerei hat keinen Nachfolger gefunden, der Wochenmarkt stirbt. Das alles erzählt die Gemüsefrau, deren Laden vor zwei Jahren fast hätte umziehen müssen; der Vermieter hatte mehr Geld verlangt. Kurz darauf war plötzlich von Mieterhöhung keine Rede mehr, da hatte nämlich ein Stammkunde von ihr das ganze Haus gekauft.
Das Hotel, an dem ich immer vorbeigelaufen bin: schräg (ist halt 400 Jahre alt) und ein bißchen zu niedrig, aber ungenormt auf eine Weise, die mich völlig darüber hinwegtröstet, daß ich ganz nah mal ein eigenes Zimmer hatte. Ich denke an Patrick L. Fermor und seinen Gang durch das alte Europa: Hier hätte er sich höchstens über den Fernseher in der Ecke wundern müssen.
Sehr seltsam ist es, einen alten Weg zu kreuzen und plötzlich für einen Augenblick wieder zur Mensa zu gehen; und das Zurückschnappen ins Jetzt. Das ist wie angeschubst werden, Püppchen im Puppenhaus.
Einmal schütteln. Und weiter, zum Bahnhof, nach Hause fahren.