Ich mag das: Menschen möglichst viel Raum in möglichst wenig Worten geben. Worte, die sich mit dem, was sie weglassen, zu erkennbaren Skizzen verdichten.
Dennoch gibt es Personen, die sich entziehen; bei denen ich mich scheue, auch nur den Anfangsbuchstaben ihres Namens zu notieren. Nicht aus Furcht vor Erkennbarkeit; eher um nicht etwas Schwebendes festzuschreiben. Oder: ihm nicht gerecht zu werden.
Mit manchen dieser Menschen beschäftige ich mich gedanklich, schriftlich und im Leben. Manche kommen sogar in meinen Textchen vor, doch ohne daß da wirklich etwas über sie stünde; nichts Greifbares, nichts Gültiges.
Einer, von dem ich nicht weiß, ob er sich von mir kennen läßt (und ob ich's überhaupt richtig versuche). Einer, nah und vertraut, bei dem ich schier verzweifle über all das, was ich noch nicht weiß. Eine, die ich so lange kenne, daß ich sie vielleicht gar nicht mehr richtig sehe. Einer, den ich gar nicht kenne; nur das Mitgefühl, das mancher seiner Sätze in mir weckt. Eine, über die ich immer noch nicht hinweg bin.
Nicht nah genug, zu nah, das scheinen gute Gründe für ein Stillschweigen. Und dennoch lauere ich darauf, doch irgendwann die Worte zu finden, die mehr sind als die halbe Wahrheit.
Mein Herz schlägt da eigene Wege ein. Auf einmal halte ich die Luft an, und in mir geht die Sonne auf, während ich am liebsten hüpfen würde: Ist. Das. Wunderbar.
Es sind Menschen, Geschichten, Zufälle und Ideen, die mein Entzücken wecken: Menschen, die für etwas brennen. Ein Bild mit einer hübschen Absurdität. Kleine, um einen Fehler herum funktionierende Systeme; alte Gebräuche, die als schöne Hülle vorsichtig weitergereicht werden. Sinn abseits von Verdienst; die Würde des Kaputten. Dinge, die sich der Funktion entziehen, Menschen, die nicht passen wollen. Sehnsucht. Das Größere, nie Ganze auf den zweiten Blick.
Ein Teil meiner selbst schaut nachsichtig: Haste wieder was gefunden?, aber selbst dieser Teil wird ganz still, wenn es um Liebe geht, so unbegreiflich und zwecklos, wie sie nun eben ist, und wider alle Zerbrechlichkeit. Die macht mich lange froh, und ich fürchte wenig, solange es sie gibt.
Und wie ich traurig werden kann anstelle anderer, und wie sinnlos das ist. Menschen lassen sich nicht ändern oder gar retten; das können sie alles, alles nur selbst. Oder eben nicht. Aber gelassen zusehen, wie sich jemand ins Unglück bringt, dazu bin ich immer noch nicht alt genug.
Ich zähle zur recht großen Gruppe der Ungeselligen. Das ist mir nicht neu; doch was immer noch zwackt, ist, mißverstanden zu werden, aufgrund falscher Annahmen einen verkehrten Platz zugewiesen zu bekommen. Ich bin nicht Gruppentier genug, irgend etwas richtigzustellen.
Geschichten. Überall Geschichten; ich würde ihnen so gern ein Gedächtnis bieten. Und wem gehören sie überhaupt? Dem Erzähler, dem Hörer? Dem Raum zwischen beiden? Ungeteilt sind sie ja nicht.
Das Erlebte, was irgendwann Geschichte wird: Die von Herrn F. als Politischer im Gefängnis, zwei Stunden Hofgang in zwei Wochen U-Haft. Meine Reise in die Ex-DDR kurz nach der Wende in einem Auto voller neugieriger Studenten. Wie T. die Piraten jagt, die seine Bücher verbreiten.
Und die ererbten Geschichten. Die von K.s Mutter, die als kleines Mädchen acht Kilometer über die Felder zum Schlittenfahren lief; die von M.s hochschwangerer Großmutter, die man um ihre Brotration betrog. Die von T.s streitbaren Ahnen (und dieses wunderschöne Wort Grobschmied); und die von dem mordenden Würstchenstandbesitzer, der wohl doch nicht in den Stammbaum gehört. Die vom Vater, der als Gymnasiast beim Führerbesuch jubeln mußte.
Ich weiß nicht, was mit der Wahrheit passiert, wenn Zeit und Zeit und Zeit vergeht, wenn ein Verstand nach dem anderen sich mit etwas befaßt, das einmal geschehen ist. Ist ja nicht einmal alle Schönheit von Dauer.
Mein völlig entsetztes Kopfschütteln auf die Frage von T., ob ich denn schriebe; er mußte lachen und meinte, aha, also ja.