Meine Freiheit ist: abtauchen. Vom Radar verschwinden. Aus dem Raster fallen. Unbehelligt, unbewertet, unbeobachtet Privatsachen tun können.

Wir leben in einer Solidargesellschaft. Alle zahlen Steuern, Beiträge, Rücklagen für Man-weiß-es-nicht, und auch Raucher haben eine Krankenversicherung, Raser eine Unfallversicherung, auch Leute mit geringem Karriereinstinkt ein notdürftiges Auskommen. Wir haben in gewissen Grenzen die Freiheit, Dummheiten zu machen. Diese Freiheit sind wir im Begriff, aufzugeben zugunsten von ... ja, was? Der absoluten individuellen Verantwortlichkeit. Niedrigere Beiträge für Nichtraucher, geringere Kreditwürdigkeit für Leute aus der falschen Wohngegend. Alles passend nach Datenlage zugeschnitten. Risikominimierung.

"Früher bin ich einfach losgelaufen, zwanzig, dreißig Kilometer durch den Wald. Unbesorgt. Würde ich irgendwo umfallen oder mir den Knöchel brechen, würde es heute heißen, wieso hat der kein Mobiltelefon dabei gehabt?"

Es geht vielleicht irgendwann nicht mehr darum, die Privatsphäre als persönlichen sicheren Raum zu verteidigen, sondern als einen der Unsicherheit. Unverwertbarkeit.

– Was möchten Sie, daß aus Ihrem Kind einmal wird? – Es soll ein gutes Leben haben, überall zurechtkommen, keinen Mangel leiden. Es soll sich mal aussuchen können, wie es lebt.

Als ein guter Grund, einen Teil der Freiheit wegzuschenken, gilt landläufig die Liebe.

Von. Und zu.

Die Krähenvögel, die auf der Autobahn von der Fahrspur flüchten bis exakt über die durchgezogene weiße Linie; und wie sie dann dahinter stehen, als könne ihnen keiner was.





Herzblut plus Kürzen, Kürzen und Kürzen, oder so ungefähr doch. Und dann sind sie mir doch nicht alle gleich lieb. Man weiß vorher nie, wie sie werden (außer: kurz).

Geschichten sind der Leim, auf den ich fliege; mit denen kann man mich beschenken, entlohnen, verzaubern. Manchmal ist es eine Formulierung oder die Stimme, eine Geste, ein Blick. Oder es ist die Tatsache, daß diese Erzählung nur für genau ihren Erzähler wahr ist.

Dann natürlich: daß wir in Geschichten leben; daß wir gute Enden brauchen, nicht: glückliche, sondern solche, die nicht verloren sind. Ach ja, und das überall greifbare Gefühl, die große Erzählung, in der wir uns gerade befinden, könne nirgends hin führen oder eine böse Wendung nehmen. Meinerseits Gewißheit: es wird weitergehen, denn wir sind Menschen.

M. schreibt, was viele lesen würden, hinter verschlossener Tür (ich bestaune das); D. kippt sich aus und seziert sich und teilt sich mit der Welt (danke dafür). T., dessen Geschichten ich so mag, will kein Blog (schade).





Es gibt Texte, die müssen mit Tinte zu Papier gebracht werden, von Hand ins Reine geschrieben. Selbst wenn sie am Rechner entstanden sind. Selbst wenn die Tinte verschmiert, oder vor allem dann.

Überhaupt: ins Reine schreiben. Das klingt schön.

Als erstes ungeduldig werden mit dem "und", das sich nach und nach zu einem Schnörkel verschleift. Ein wenig zu spät merken, daß es zu viel war, nicht für die Hand, die läßt sich ausschütteln, sondern fürs Herz.

Sich ins Reine schreiben und schreiben.





Hummeln in blühenden Apfelbäumen, Grauganskindergärten und Sonne, vorsichtig dosiert: unterm jungen Grün alter Weiden kann man der Welt nicht böse bleiben.

Ein ganzer gestohlener Wochentag (hast du da nix Sinnvolles zu tun?!), an dem sich alles mühelos findet: flirrende Flußwasserfarben, Störche, die wie bestellt am Nestrand erscheinen, Knoblauchsrauke vom Ufer zum mitgebrachten Butterbrot, geschenkte Lektüre, und der Grill wurde eben angeworfen, in einer halben Stunde gibt es Fisch. Wie am Schnürchen, wie beim Staatsbesuch.

K. zählt zu denen aus meinem echten Leben, die wissen, daß ich ein Blog habe, und die mich manchmal aufmerksam machen auf ein Fotomotiv ... Ich weiß nicht recht. In meinem echten Leben ist mir das mit dem Blog ein wenig peinlich, auf eine Art, die ich mir selbst nicht erklären kann.

Bloggen ist wie Singen unter der Dusche. Zumindest fallen auf die Frage nach dem Warum meine Antworten sehr ähnlich aus.

Manchmal lese ich in fremden Blogs nach, was andere Leute an schlimmen Tagen meines Lebens gemacht haben. Die Welt dreht sich um so viele Achsen, wie es Hirne gibt und Herzen; das tröstet.

Ob Authentizität wichtig ist? Muß, wer schreibt, ehrlich sein? Och. Ich lasse mir auch gern Geschichten erzählen, solange sie nur gut erzählt sind. Und solange sie mir nichts zu verkaufen versuchen.

Ob ich Ansprüche habe an mein Geblogge? Ich mag Sprache. Ich mag es, Gedanken knapp zu fassen. Ich mag Geschichten, und das war's. Wollte ich Bekanntheit, hätte ich irgendwas mit social; wollte ich Geld verdienen, na, was weiß denn ich.

Es gibt keinen triftigen Grund, nicht unter der Dusche zu singen, also blogge ich.

Und: ha! Heute regnet es. Gut, daß K. und ich nicht aufs Wochenende gewartet haben, wie die vernünftigen Leute.

 

(Hier noch was übers Bloggen, das ich mochte.)





Gespräch mit einer gar nicht viel älteren Frau. Es geht um die Mobilgeräte, über die sich alle immerzu beugen, um Verfügbarkeit von Wissen und Dingen und Menschen (zumindest virtuell) und um Kinder, die immer schlechter warten können, sich nicht allein beschäftigen, nicht durchhalten. Sie darf besorgt sein, sie arbeitet in der Förderung beeinträchtigter Kinder; und da, sagt sie, sieht sie die Schäden dieser neuen Welt.

In der Schule haben sie Defizite. Da sollen sie auswendig wissen, was jede Suchmaschine zu Millionen Treffern führt. Sie sollen kopfrechnen, zeichnen, lesen und verstehen, wo's ein Video täte. Zeitgemäß ist das nicht: auf ein Leben zwischen Bildschirmen, mit schnellen Entscheidungen, auf Multitasking und Flexibilität werden Schüler nicht vorbereitet in der Schule.

Wir beide sind ja froh, in einer Welt auch ohne Strom, ohne Geräte existieren zu können. Langsam sein, gründlich sein, unabhängig sein. Nicht leiden, wenn nicht alles gleich zu haben oder sicher zu wissen ist.

Und ich denke, wir zwei, wir werden bald nicht mehr zu denen zählen, die die Köpfe schütteln über Leute, die nicht mehr nichts tun können. Uns wird man mit Befremden betrachten, Angehörige eines fremden Volkes; wir werden die mit den Defiziten sein oder, wer weiß, vielleicht konserviert und in ein Museum gesteckt werden.