Ein wichtiges Telefon ist kaputt, und die Nachbarin hustet so häßlich. Ich kann heute nichts anfassen, geschweige denn festhalten.

Daß es das noch gibt: E650, den Bauerntod, über den man im Dorf nur unter Anrufung des Allmächtigen sprach. Diesmal war's ein Nachbar von Freunden. Daß unser Apotheker sich erhängt hat, schreibt die Freundin, sagt eine Menge über den Gifttod.

Dann muß ich mir dringend Gedanken machen darüber, was ich eigentlich machen will. Was ich mache, reicht mir nicht recht. Ich denke an M. und wie ich tausend Ideen habe für ihn, aber für mich keine.

Die Waschmaschine anmachen, damit wenigstens etwas läuft.





C. ist knochig geworden unter seinen Kleidern, durchsichtig und gebeugt. Es ist, als hätte man einen großen Vogel im Arm. Die Behandlung, sagt er und schaut weg dabei, war eine Qual; die hat ihn ganz und gar zerdrückt, an Leib und Seele. C. hat sie abgebrochen, er konnte nicht mehr. Jetzt beginnt er wieder zu essen, zu schlafen, zu lesen, allmählich wieder unter den Menschen zu sein. Sein Nein hat ihm wohl mehr Leben geschenkt, als die Chemo es könnte.

Ich denke an K. und H. in ihrem Bauernhaus mit den Obstwiesen. K. kümmert sich zunehmend allein um die Gärten, denn H. kann immer weniger. Dabei sind es die Gärten, sagt K., die ihn am Leben halten; alle anderen, die sie mit seiner Erkrankung kannte, sind längst gestorben. H. lebt mit seinen Bäumen, Austrieb, Blüte, Frucht, Laubfall, Jahr für Jahr.

Derweil spielen draußen die Jahreszeiten verrückt. Während endlich die Stadtplatanen ihre Blätter verlieren, bauen Tauben Nester, und die Meisen stimmen Reviergesänge an.





Endlich wieder mal knietief in Arbeit: Vor Vergnügen plansche ich ein wenig, im übertragenen Sinne.

Geschenkt bekommen: eine Goldparmäne. Schmeckt genau so prächtig, wie sie heißt.

Maß für Wohlgefühl in Gesellschaft: Die Zeit, die ein Gespräch, ausgehend von gewöhnlichen Themen, braucht, um ins Abstruse zu entgleisen. (Je kürzer, desto größer.)

Nur noch selten Seegang; einzelne Wellen, die mich heben und sanft wieder absetzen. Sommerechos.





Mein Herz ist weit, da paßt ein ganzer Dreimaster hinein mitsamt 292 m² Segelfläche. Ich reise zum zweiten Mal mit der Albatros.

Es herrscht das rollierende Wachsystem: von null bis zwölf Uhr vier, von zwölf bis null Uhr drei Stunden pro Schicht; zu jeder dritten Wache werde ich geweckt. Zwei Toiletten für 22 Leute, Duschen im Hafen. Die Kojen sind schmale Bretter in Schlafschränken; in meine regnet es hinein, das Tropfwasser ist schwarz. Ich schlafe wie ausgeknipst unter dem Hilfsmotorröhren. Jede der viereinhalb Mahlzeiten verschlinge ich wie ein Wolf. Dazu Muskelkater, blaue Flecken, Schwielen, Sonnenbrand.

Dieses Mal ist alles einfacher: Andirken, Piek zusammen mit der Klau heißen, belegen, aufklaren. Rein Schiff. Backschaft. Ich liebe die Stunden als Rudergängerin; das Schiff knarrt im Wind, das Steuerrad zittert von der Strömung. Ich lerne und lerne. Einmal habe ich den Orion im Klüvernetz, das Schiff macht gute fünf Knoten, und die Welt ist rund. Überhaupt, der Himmel voller Sterne.

Am Ende kenne ich vor allem Menschen: den Steuermann von Mitte siebzig, der meine Fragen oft mit einem Stirnrunzeln beschweigt und der mir zum Abschied seine Lederhose schenken würde. B., der gelassen sagt: sind halt alles Menschen, und das wirklich genau so meint. A. mit dem dröhnenden Lachen, der mir von seiner Verletzlichkeit erzählt. U., die sich nicht und nicht verbiegen kann. Und all die anderen.

Es bleiben der Seegang, der mit mir heimgekommen ist, Gestank nach verrottendem Schiff in allen meinen Kleidern, unendlich viele Geschichten und Sehnsucht nach Segelsetzen. Wer hätte gedacht, daß ich mich noch einmal so verlieben könnte.





Die Freude über das Wiedersehen mischt sich mit Schrecken und Beschämung über den Umstand, hier, und so grau und mager. Er ist gründlichst rasiert, das Hemd bis oben zugeknöpft, und trägt den Katheterbeutel wie beiläufig. Lang hält er es nicht aus, dann entschuldigt er sich und wandert auf dem Flur auf und ab.

Wie zerbrechlich der Leib ist, dieses fehleranfällige Gewirk von Nerven, Gefäßen, Organen; und wie viel nur am Mut hängt, an der Zuversicht, daß es schon wieder wird und daß sich der ganze Aufwand lohnt.

Ich habe ihm einen Bademantel besorgt, was man so braucht für einen längeren Aufenthalt hier: gestreiftes Tuch mit etwas Glanz, Knöpfe, Kragen. Oh, ein Staatsbademantel, sagt er und grinst.

Der Weg vom Kliniksgelände gerät mir zur Flucht; Tränen kommen erst später. So eine Ungerechtigkeit. So eine Verschwendung.