Zehn Jahre scheint er gealtert seit der Diagnose. Es geht ihm nicht schlecht, aber er weiß und kann nicht mehr nicht wissen. Seine Angst ist begründet; es ist ernst.
Gesellschaft erträgt er nur, weil er weiß, daß seine Lieben nicht anders können. Vielleicht ist nicht da sein, was ich tun kann?
Alle sind wir allein und denken unsere finsteren Gedanken. Als könnte man das: vorbereitet sein.
Der Beiname des Worst Case ist: Aber davon wollen wir nicht ausgehen.
Vielleicht gibt es ja noch eine Möglichkeit. Vielleicht ist es nicht so schlimm. Wenn all diese Wunder einträten, wären sie keine Wunder mehr. Man wendet sich: an Fachleute, an Zweitfachleute, an Überlebende, an Leute, die alles ganz anders machen, und dreht sich im Kreis.
"Was ich auf keinen Fall möchte, ist eine lange Leidensphase." Aber das wird dann heißen: die Hoffnung aufgeben. Ich hatte ganz vergessen, wie tief die sitzt; ein Stachel mit Widerhaken.
Die Mühlen sind angeworfen. Ein lieber Freund wird, auf die eine oder andere Art, darin verschwinden.
Aber. Aber. Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht.
Es hat noch mal weit runter geschneit, jetzt, Ende Mai, und deshalb reicht der Schnee im Blickfeld fast bis auf die Wiese, in der die Grillen tiefen Südens zirpen.
Unterwegs sein ist fast nie so beschwerlich, wie ich vorher dachte; und trotzdem bin ich dann überrascht, wie sehr ich mich auf daheim freue.
Ich habe ein Unwetter verpaßt und trotzdem einen See nicht gesehen.
Yuval Harari führt die moderne Reiselust auf ein Zusammenspiel aus Romantik und Individualismus zurück. Menschen streben nun mal nach mehr als Satt- und Sicherheit. Und wo sich frühere Menschen um ihr jenseitiges Heil gesorgt hätten, zähle bei uns das – exotische – Erlebnis. (Und vielleicht, was wir auf Speicherkarten und Videochips davon mitbringen.)
Ich weiß nicht, ob es mir an Individualismus gebricht; aber daß ich unromantisch sei, höre ich häufiger.
Einmal im Jahr muß, weiß Bescheid. Und dann sitzense alle aufe Terrasse, Bier inne Hand, warten auf Würstchen und tauschen Stichworte aus. Vatertach: acht Stunden, drei Kisten Barre, sieben Kilometer, Route seit ewig fest (nie am Kirschensiek her), dann Feuerwehrfest, dann Grillen hinterm Haus. Das ist der Zeitpunkt, an dem ich dazustoße. Die Jungs – so darf man sie dann nennen – bleiben liebenswürdig, aber wenn man nicht seit ewig dabei ist ... Weiß Bescheid.
Die vier sind so verschieden, daß man das Gemeinsame lange suchen muß, und dann ist es nicht leicht zu fassen. Zentral ist aber: Zu Vatertag hat keiner je gefehlt. Nicht bei Geburten, nicht bei Todesfällen; nicht bei Regen, nicht bei Schnupfen, nicht bei Frühschicht am nächsten Tag.
Ich erfahre, daß ich vor 21 Jahren eine Postkarte nicht bekommen habe. Die hatten sie adressiert an das Haus vor dem schiefen Häuschen am Ende der Gasse neben dem berühmten Café; Name stimmte natürlich. Was draufstand, wissen sie nicht mehr; die Reise sei aber legendär langweilig gewesen. Kannste nix von sagen. Also ziemlich gut, wohl.
Der Kirschenbaum vor der Terrasse steht so voller Blüten, daß man sie sich gar nicht alle als Kirschen vorstellen mag. Im Herbst soll er "halbiert" werden; hoffentlich überlebt er das. Nächsten Vatertag wird man's sehen.
– Wie schreibt man eigentlich "weiß Bescheid"? – Keine Ahnung. Gar nicht.
Vor Wochen lag die Ankündigung der Feierlichkeiten irgendeines Abschlußjubiläums in meinem Mailfach. Heute die Zuschrift eines Mitschülers, von dem ich nie viel mehr wußte als den Namen und daß er sehr leicht rot wurde: "Meine Frau und ich haben im Mailverteiler deine Adresse gelesen, dein Fachgebiet ist ja wirklich interessant! Im Anhang findest du wichtiges Infomaterial, es betrifft die schädlichen Auswirkungen des Impfens auf"
–> Plonk.
Mannmannmann.