Vor Ventilatoren liegen und hoffen, daß es bald vorbei ist. Die Wahrnehmung ist in der Hitze zusammengeschnurrt und reicht nicht mehr ganz bis an die Welt heran.

Zwei Touristen auf der Domplatte: <Fremdsprache Aa-hen?> Fotoapparat raus, klick, weiter. Germany in less than seven days.

Ein Freund schreibt seit zehn Jahren einen Roman, jeden Tag ein wenig. Vor zwei Jahren dachte er, kurz, er wäre gleich fertig.

Ein anderer schreibt dicke Bücher. So ein Marathon, meint er, habe etwas Beruhigendes. (Ich hingegen gehe gern ein paar Schritte spazieren.)

Ich solle mich nicht so reinhängen oder mich besser bezahlen lassen. Wie man's bei anderen immer besser weiß. Das ist nicht mal professionelle Verbeulung, das ist einfach die Begrenzung des Menschen.

Warten und warten.





Tide und Wind sind günstig: alle zugleich tuckern sie aus dem Hafen, die Klipper, Tjalken und Aaken, eine lange Prozession schwarzer Rümpfe, und setzen Segel gleich hinter dem Hafenfeuer. Da verstummen die Motoren, fächert sich die Flotte auf; aus der Parade wird ein Menuett, gespreiztes Segeltuch und schaumiges Wasser, Segel hinter Segel bis zum Horizont, still und unwirklich schön. Statt Handelswaren tragen sie heute Schulklassen und Feriengäste, bunt aufs Oberdeck getupft, winkend.

Nach dem Tag liegen die alten Schiffe wieder dicht an dicht am Kai. Keins ist wie das andere, lauter Sonderanfertigungen. Die Masten schwanken kaum merklich, ein lichter Wald; der Wind rauscht in Leinen und Tauen wie in jungen Kiefern. Zwischen den Rahen hängt der Mond. Mild erleuchtet er den endlosen Abend. Unter das Gluckern des Hafenwassers mischen sich Gespräche, Musik, überschäumende Stimmen. In ein paar Tagen werden die Schiffe mit anderen Gästen hier liegen, auch nach hundert Jahren immer wieder neue Fracht.

Ruhiger, aber nicht still ist es am frühen Morgen, wenn die Sonne noch Kraft sammelt. Ich trinke den ersten Kaffee aus einer dieser gläsernen Tassen, lausche an Deck Seevögeln und Motoren, Hammerschlägen, knallenden Tauen und dem Wind und erwarte den Tag. Zwei geschenkte Stunden voller Schönheit.

Die Autofahrt heim strengt mehr an als alle Arbeit an Bord. Die Aufmerksamkeit muß pausenlos sein und darf bloß nicht ins Weite; es fehlt an Wind, an Himmel. Bei Einbruch der Dunkelheit drängen sich die LKWs auf den Rastplätzen dicht an dicht, aufragende Schatten – ich denke mir Masten hinzu und ein Schwanken – im Hafen zur Nacht.

 

[Alles übers Wattsegeln.]





Die Hauptdarstellerin war erkrankt, und nun standen ein paar Dutzend Leute vor dem Theater und hatten einen freien Abend.

Einige konferierten, wie sie die Zeit anders nutzen und wann sie dann das Stück nachholen würden. Und dann gab es ein paar, die verärgert waren. Haben die keinen Ersatz? Hätte man das nicht früher –? Wann anders gehen; was denken die? Das Geld hol ich mir zurück.

C. und ich standen in der summenden Menschentraube. Beide mögen wir, wenn etwas schief geht. Wie damals, als der Flieger verspätet war, so daß das Orchester direkt vom Flugplatz kam und eine lange, lange Schlange in Fräcken und Roben vor der Toilette bildete, während das Publikum schon in den Konzertsaal strömte. Dann war auch noch der Dirigent erkrankt, der Ärmste; aber wir hatten einen prächtigen improvisierten Abend.

Wie denn auch gestern.

Es fällt mir nicht schwer, den Weg zu ändern, Unwägbarkeiten in Kauf zu nehmen, Pläne umzuwerfen, überhaupt: etwas ohne Plan anzugehen; das bißchen Angst vergeht auch wieder. C. sieht das ähnlich. Unsere schönsten Erlebnisse waren die überraschenden.

Kein Wunder, daß ich immer wieder mit Menschen aneinanderrassele, die gern alles unter Kontrolle haben wollen.





Besuch von J. auf seinem Weg nach Norden: ein begabter Reisender mit leichtem Gepäck, Lachfalten, einem schönen Zungenschlag und ganz ohne Furcht vor Begegnungen.

Bedächtig ist das erste, was ich denke, als ich ihn sehe; er nimmt sich Zeit, kommt an und ist dann da, ganz. Er drängt nicht in den Mittelpunkt; doch irgendwann ist die Mitte einfach da, wo J. ist, und es gibt dabei noch Platz genug für andere. Wo er sich niederläßt, schart sich Freundlichkeit wie ein Schwarm Vögel.

Einen scharfen Blick hat er, sieht, wie Dinge gemeint und wie sie geworden sind und die manchmal komische Diskrepanz; überhaupt, das Komische. Er trägt seine Seele als Leinwand und verhehlt die Spuren nicht, die die Welt auf ihr hinterläßt; er nimmt und reflektiert und formt diese Spuren, macht sie zu seiner Kunst. Zu mir kommt sie als Woge, als Flut von Erinnerungen.

J. trinkt bloß einen Kaffee, dann muß er weiter; zum Abschied hinterläßt er lächelnd einen Gedanken, eine funkelnde kleine Idee, über die ich noch Stunden später grinsen muß.

Die wird mir bei jedem Waldspaziergang wieder einfallen.

 

[Irgendlinks Reise]





Gänzlich geplättet nach dem Opernabend, ergriffen, im Sinne des Wortes; bis in die Träume reichten die Bilder.

Die Geschichte selbst ist spröde, gebrochen; in den Bildern spiegelt sich das, und die Musik webt noch einen weiteren Zauber darüber, rückt ein Brennglas über die Seelen der Akteure.

Das Loslassen. Wie schwer es ist, das mit Grazie zu tun; der Marschallin gelingt's, unter Schmerzen. (Schmerz und Anmut. Wie die Kleine Meerjungfrau: Messer bei jedem Schritt.)

Die Frau, die den jugendlichen Liebhaber gehen läßt, ohne ihn zu zerdrücken, auch wenn sie so viel mehr weiß als er. Die ganz große Geste dieses Verzichts. Und die glückliche Sophie, die mehr spürt als daß sie versteht: Sie gibt ihn mir – und nimmt mir damit etwas weg von ihm.

In der Oper aus jeder Zeit gefallen; nachher unter einer Glasglocke durch die Stadt. Wieso Oper?, diese Frage stellt sich mir nicht. Es gibt nichts, was wäre wie Musiktheater, und so vieles, was darauf zurückgreift. Alle Freuden, alle Traurigkeiten des Seins auf der Bühne; und all die Geschichtchen, die meinen, die in Opernhäusern wohnen. Nein, das mag ich nicht lassen.

Hier: über die Aufführung, ganz wunderbar zu lesen.