Jetzt ist die Zeit, in der nicht Salzkristalle oder zermanschtes Konfetti, sondern die Kronblätter von Erdbeeren auf den Bürgersteigen liegen. Ich folge ihnen, eine oder zwei Schalen weit, aber doch nicht bis zum Ende der Spur.

Auf meinem Küchentisch steht ein freundliches Geschenk: eine Päonie, vier duftende Blüten in allen Stadien von eben erblüht über volle Pracht bis gänzlich verschwendet. Zwischen ihren Blättern finde ich schwarze Ameisen, Pfade ablaufend, die in einem Garten vor der Stadt begonnen haben und nun im Nichts enden. Sie werden nie wieder heimfinden. Sie werden noch ein Weilchen suchen und dann in dieser Fremde, die meine Küche ist, sterben.

Die so schön welkenden Blüten erinnern mich: das Alter hat mich bislang beschenkt; vielleicht kann ich deshalb freundlich darüber denken. Ich mag den Lauf der Jahre, ich mag es, nicht mehr jung zu sein.





Der Dichter von damals ist heute Schriftsteller. Ich habe noch nichts von ihm gelesen; aber das Genre hätte er mir ohnehin nicht zugetraut.

Erstaunlich, plötzlich neben zwanzig vergangenen Jahren zu stehen. Er weiß meinen Namen noch, ich sein Autokennzeichen. Was machst du so? nur ironisch; in den Gesprächsflauten Gekicher. Er ist auf der Hut, wer könnte es ihm verdenken; immerhin ist er einigermaßen berühmt, und er hat einen einsamen Beruf.

So unverhofft wie ihn treffe ich auch das junge Ding wieder, das ich damals war. Zu jung für Zukunft, zu jung, um andere Menschen wirklich zu sehen; und doch dachte ich damals: der kann was. (Heute klopfe ich mir innerlich auf die Schulter: na bitte.) Und ich merke, wie viel von dem jungen Ding noch übrig ist – die Gedankensprünge, der Spaß am Absurden, die Zerstreutheit (schlimmer geworden). Die Mischung aus Schüchternheit und Impulsivität, inzwischen geglättet und poliert von Benimm.

Dafür sehe ich heute viel genauer, verstehe mehr.

Am Ende tauschen wir Mailadressen aus, der Schriftsteller und ich.





Der Himmel ist hier schon nördlich; die Nacht verspätet sich und erreicht kaum den westlichen Rand des Landes. Es ist schön, dieses Land, doch nah kommt es mir nicht.

Ins Grün und Gelb des gewohnten Fernblicks mischt sich Blau, blau wie fern, wie Ferien, wie Himmel auf Erden. Die Stadt sitzt, ein spitziger Fleck getrockneten Bluts, inmitten von Wasserflächen wie Quecksilber und Vergißmeinnicht.

Ich habe mein ganzes Leben nicht so oft „Schöne Pfingsten“ gewünscht bekommen wie in diesen beiden Tagen im Osten der Republik.

Am Bahnsteig stehen zwei Studenten; sie kommen von einer Familienfeier. Einer liest laut ein Plakat: Giu...seppe, Giuseppe Verdi! Am vierten! – Ach, spielt der hier? – Nee, eine Oper von ihm. – Der ist doch auch schon tot, oder? Zumindest nicht mehr der Jüngste. – Wollte ich immer schon mal hören; da kommen wir wieder, ja?

Einer rührt mich; unterm Arm trägt er ein fleckiges Kopfkissen, und zwischen dem Wischen auf seinem Telefon gräbt er immer wieder die Nase hinein.

Lektüre in der Bahn: Meckel, Licht, dieses schmale Bändchen, das sich vor zwölf Jahren nicht und nicht fertig lesen ließ. Heute ist das Traurige in den Hintergrund getreten; ich staune vor der wunderbaren Sprache, vor dem genauen Blick des Erzählenden auf die Liebe, der ihr doch alles Geheimnis läßt.

Und, schade, doch kein astronomischer Service an Bord des Zuges.