Nachts höre ich Zugvögel über der Stadt, es müssen viele sein und in großer Höhe. Tags sind es die Flugzeuge, nun fast wieder im Minutentakt. (War das schön ruhig im letzten Jahr.)

Sonst ist nicht viel los auf dem Marktplatz, vielleicht wegen der Feiertage, vielleicht wegen der Sturmwarnung für heute. (Auch das ein Pandemiegewinn: längere Schlangen auf dem Wochenmarkt, normalerweise. Viel mehr Kundschaft.) T und ich trinken unseren Kaffee im Nieselregen, wir sind wetterfest, nur die Tassen muß man zudecken. T erwähnt einen Fernsehmoderator, der immer grenzwertig gutgelaunt sei: Ich habe nichts gegen gute Laune, wenn sie einen Grund hat! – Er weiß fast sofort, warum ich lospruste.

T hat die erste Impfung bekommen. Man merkt es. Eine Sorge weniger, was?, sage ich. – Naja. Eine halbe.

Aber ja, doch. Nun kann es wirklich besser werden.





Das Dach des Schirms hätte sie mir fast verborgen, aber ihr vielstimmiges Schrillen zog meinen Blick in die Höhe. Während ich ihre kreiselnden Silhouetten zwischen den Wolkenschleiern verfolgte, nahm ich feierlich eine Mütze Regen: die Mauersegler, sie sind wieder hier.





Naßkalt und windig. Die Nacht wie Mühlsteine. Ob es der Schnee bis hierher schafft?

Immerhin: Die Tage werden länger.





Neuerdings grüßt mich der Nachbar mit den blauen Augen und dem stahlgrauen Haar. Jahrelang hat er an mir vorbei oder durch mich hindurchgeschaut, wie der sehr, sehr alte Herr G, Frau K aus meinem Haus, ihre Freundin und die anderen, mit denen er unter einem Fenster oder in einem Hauseingang tratschte. Es gab eine richtige Nachbarschaft in der Straße, als ich herzog; die Post klingelte nie vergebens, kein Auto wurde unbemerkt zerkratzt, und man wußte, wer nachts lärmend heimgekommen war.

Aber die Zeit, die Zeit: Nach zwei neuen Hüften kam Frau K ins Heim; ihre Freundin hörte irgendwann auf, sich die Haare zu färben, manchmal steht sie mit Rollator an der Gehsteigkante und weiß nicht weiter. Daß einer gestorben war, erfuhr ich gelegentlich beim Bäcker (so jung! noch neddemol achzisch!); oder ich sah die Autos des Bestatters, der Entrümpler, der Handwerksbtriebe und irgendwann die Möbelwagen neuer Mieter. Die Gegend verändert sich, die Bewohner werden jünger, lauter und bleiben nicht mehr lang.

Und jetzt grüßt der Blauäugige mich. Vielleicht bin ich reingealtert in die Gegend; nach zwölf Jahren zählt man hier wohl langsam doch zum Inventar.





Die geschätze Blognachbarin erkundigt sich – danke! Mir geht's gut, außer der Technik ist alles in Ordnung. Erst war ich ein wenig offline wg. Arbeit und Strickenlernens, dann wollte mein Bilderblog nichts mehr von mir wissen, dann war ich ihm (eigentlich dem ganzen Internet) ein Weilchen bös, und nun ist Herbst, und ich habe drei Pullover mehr. Immerhin.

Wie schön, wenn's wärmt! Das Wesen des Geschenks ist ja, daß es unverdient ist und keine Schulden macht. Insofern.

Ansonsten: Pullover Nr. 4 und ein bunter Schal mit Dreier-Nadeln; dann endlich ein Buch, durch das ich vorsichtig streife wie durch frischen Schnee: elfhundertvierundsechzig Seiten, und ich darf sie alle lesen.

(Über das Mittelalter weiß ich, daß Briefe von den Boten, die sie beförderten, unterwegs auf den Marktplätzen verlesen wurden, so daß das Volk teilhaben durfte an den Gedanken der schreibenden Schicht. Das, was nur für den Empfänger bestimmt war, stand in einem gekennzeichneten Abschnitt; der wurde verschwiegen. Briefgeheimnis.)