T langweilt sich. Die Tage sind endlos. Man macht gar nicht viel mit ihm, das aber so unvorhersehbar verteilt, daß er zu nichts kommt. Eine Woche ist er schon da; wie lange es noch dauern wird, ungewiß. Und das, wo er nicht mal krank ist. Nur nach dem Auge hatte er mal schauen lassen wollen.
Statt unserer Kaffeetreffen besuche ich T nun auf Station. Das Zimmer ist überheizt, der Kaffee lau und dünn, aber sonst alles wie immer.
Wie ich da hinkomme, behalte ich für mich – den Eingang, den ich ganz vermeide, der flache Bau, vor dem ich die Straßenseite wechsle, und wie mich das ganze Gelände bedrückt, ein schwarzer Sack mit knapper Luft und hetzendem Puls. Zwei habe ich schon da lassen müssen; ganz andere Geschichten, aber der Ort erzählt sie mir jedes Mal aufs neu.
Oh, danke! Selbst gebacken?
Ja. Ich habe dir die häßlichen rausgesucht, du kannst sie ja sowieso nicht angucken.
So schlecht sehe ich aber nicht!
Das war auch gelogen. Meine Plätzchen sind alle häßlich.
Die schlechten Nachrichten stapeln sich, und wir, die wir verschont bleiben, stehen machtlos: wir Menschen sind so zerbrechlich; und die anderen immer noch viel zerbrechlicher.
Man möchte sie in den Arm nehmen, die Freunde, Schwestern, Arbeitskollegen, die Kinder und sogar die, die nach einem halben Jahr voll Sorge fragen, wo ist eigentlich ...; aber wer hätte so weite Arme?
Stattdessen: zuschauen. Traurig sein, und darüber lebendig bleiben.
Um elf muß ich arbeiten, kein Pardon. Aber nach Mittag, am Bahnhof treffe ich M, und zusammen gehen wir uns das letzte Ende des Klimastreiks anschauen: bunte Buden, Musik, sehr junge Leute, die auf einer Bühne sehr vernünftige Sachen sagen. M war schon auf der großen Demo, Stunden habe es gedauert, bis man überhaupt loskonnte, so viele Menschen. Es ist halt wichtig.
Im Zug nach Hause verschlägt es uns in Hörweite eines angetrunkenen Trupps von Jungmännern; der Lauteste fantasiert Bomben auf die Klimademonstranten, rühmt sich seines geilen dicken Autos und ebensolcher Eier, und die Greta, die würde er mal durchficken. M und ich schämen uns fremd. Bei Facebook gibt’s das dann wohl schriftlich, die verwaschene Aussprache abgebildet in Rechtschreibung. Es fällt mir enorm schwer zu glauben, daß die im echten Leben aber doch ganz nett sind.
Ich denke noch eine ganze Weile darüber nach. Daß ich nicht sehr schlechte Laune bekommen habe, liegt an M, dem Klugen, mit dem ein Blick zur Verständigung reicht und mit dem sich Trotz und Verzweiflung in einen Witz ummünzen lassen. M lebt kompliziert, erträgt Menschenmengen kaum und verabscheut alles Laute, aber er ist tatsächlich hergekommen; das reicht mir zu Gelassenheit.
Für den Moment zumindest.
Fenster und Türen geschlossen halten; das Licht löschen; schweigen, höchstens flüstern. Vielleicht meint sie dann, es sei keiner zuhaus. Kleidung: leichte oder keine.
Keinen Ventilator anmachen, keine Eiswürfel für den Kaffee bereiten. Das weckt nur falsche Erwartungen.
Alle Arbeit aufschieben, das Brüten, die heiße Wäsche, das Kochen sowieso. Dem Kühlschrank lauschen, wie er sich müht.
Umlaute tippen und is, und sich Pünktchen für Pünktchen zu Regenwölkchen denken bis zum Wolkenbruch.
Handstand machen, denn in Bodennähe bleibt der Kopf kühler. Aber sachte, daß es nicht zur Hirnschmelze kommt.
In drei Tagen an zwei Flüssen gegangen. Einmal, weil es herrlich ist (und der Vollständigkeit halber); einmal, um einen Zug zu erreichen (und: weil’s geht.)
Den schönen Fluß umschnörkelt ein Zierweg, lauter Umwege, um nur ja keine Aussicht zu verpassen. Daß man das schneller haben könnte, wissen wir und gehen jede einzelne Schleife mit Andacht, denn auch das Nutzlose will erledigt sein. Wir müssen ja nicht; das ist Grund genug.
Tags drauf stehe ich am Dorfbahnhof, und die Bimmelbahn fährt nicht. Ich mag keine Stunde am Gleis warten, sondern nehme den Radweg flußaufwärts, glatt und eben und um diese Uhrzeit nicht mehr arg befahren, bis ins nächste Städtchen. Die Zeit ist knapp, darum bleibe ich an den schönsten Stellen nicht stehen, die Kamera bleibt in der Tasche. Trotzdem lasse ich im Gehen alle Eile hinter mir, die Landschaft rückt nah und näher mit Burgen, Weinbergen, Weidenschatten, Nachtigall und den Düften des Sommers; ein Frachtkahn überholt mich einen Kilometer lang. Als ich den Bahnhof erreiche, fühle ich mich prächtig. Es macht nichts, daß auch der nächste Zug ausfällt.
Gehen können, gehen dürfen, gar beides zugleich: großes Glück.