Die Charaktere, Trümmer von Geschichten, halbe Handlungsstränge, die sich in meinem Kopf herumtreiben, da müßte ich mal, das muß doch ...

Ach, sagt der Schriftsteller, das ist leicht gemacht; man braucht sich bloß von einem Schriftsteller beißen zu lassen, an einer gut sichtbaren Stelle, etwa unterm Auge (nicht ins Ohr, das ist zu schlecht durchblutet).

Er könne sich um die Angelegenheit kümmern, und im Aufwachen noch denke ich, wie schade, daß ich ihn nur angerufen und nicht gleich besucht habe.





Ein Kilo Hühnerherzen putzen: siebenunddreißig kleine Herzmassagen, und das Wasser immer rosenröter.

Herzwäsche, das wär's. Durchkneten, spülen, und alles Schwarze, Zähe: geht einfach den Abfluß runter.

(Sie waren dann, die Hühnerherzen, mit Zwiebelchen und Ei gebraten, Schnittlauch, Pfeffer, Salz, sehr gut.)





Den Mantel aber diesmal in den Kofferraum.

In den Höhen um den Edersee für mich die ersten Winterbilder: weiße Baumkronen, Reif auf Nadeln und Blättern, die Landschaft vornehm blaß in den Nebel gelagert; mittendrin: ein frisch geeggtes Feld, wie eine Wunde rot. Ich schaue sehnsüchtig aus dem Autofenster; für all das hätte ich Verwendung.

Die Ortsnamen werden lustiger, das Straßennetz dichter, die Höfe behäbiger. Am Ziel dann die Runde um den Tisch zum ersten Kaffee: kleiner dieses Jahr.

Und ohne Baum. Hätte bloß Tränen gegeben beim Schmücken.

H. merkt an, daß diese künstlichen Kerzen alle mit Strom betrieben werden und einem Microcontroller, für das naturgetreue Flackern. Für jedes zitternde Lichtlein: ein Computerchen. Und daß man werweiß mit der Rechenleistung, die da so in einem durchschnittlichen Wohnzimmer leuchtet und flackert, die Mondlandung hinlegen könnte oder Schlimmeres –

Ich muß schließen, gibt gleich Essen. Wie immer.





Wo anfangen?

Der Flüchtlingsjunge, der nichts weiter hatte als seine Hände, ein gewinnendes Wesen und einen sehr, sehr hellen Kopf. Und der dann das begehrteste Mädchen der ganzen Gegend bekam, aus hochangesehener Familie; ein ganz unwahrscheinliches Traumpaar. Nun hat der Tod sie geschieden.

Er, dessen absolute Integrität seltsam aufschien an einer Stelle, wo Integrität kaum je zu finden ist. Der darum seine Arbeit irgendwann nicht mehr lieben konnte.

Der nicht gläubig war, der aber für die Werte und Worte und Lieder, die so weit in die Geschichte zurückwurzeln, einstand.

Der anstieß, sorgte, plante, immer an das Beste im Menschen glaubend. Und dessen letzte Frage war: ich habe doch alles gemacht?

Daß die Welt, ach, dunkler geworden ist ohne ihn.

 

Wenn einer von den Lieben geht, dann sind wir plötzlich ganz nah am Abgrund. Ein Schritt, mehr wär's nicht. Man muß sich gut festhalten, daß es einen nicht mitzieht da hin, wohin sowieso alles geht.

(Ich stehe an dieser Kreuzung von mehreren mehrspurigen Straßen, eine brüllende Weite aus Asphalt, von in Intervallen einschießendem Verkehr geflutet. Jetzt erst sehe ich, daß dieser Ort das Wort "Platz" im Namen trägt. Vielleicht war das wirklich mal ein Platz, auf dem Bäume und Bänke standen und Spaziergänger zum Gruß den Hut lüfteten.)

Wenn ich jetzt an C. denke, gehen die Gedanken ins Leere. Er wohnt nicht mehr, er macht nicht mehr, er denkt und sagt nicht mehr. Es bleiben die Geschichten; und die Vorstellungen von Geschichten.





K. lacht am Ende des arbeitsreichen Tages bei einem Glas Wein über eine absurde kleine Geschichte, und ich staune, wie schön sie ist: wie ihr Gesicht aufleuchtet, dem Lachen hingegeben, und wie das Kümmernisse und Ärger ganz und gar überstrahlt.

R.s dementer Vater lebt in einer Einrichtung. Ich kannte ihn vorher nur wenig, er schien mir ein stiller, freundlicher Mann. R. sagt, langsam vergißt er alles, Orte, Personen, Wörter, wie man Dinge macht, aber er hat die Fähigkeit bewahrt, sich zu freuen. Wenn R. mit ihm durch die Stadt fährt, schaue sein Vater aus dem Fenster: hier war ich ja noch nie (er hat hier gewohnt), was für eine wunderschöne Gegend! Und ganz oft: Danke. Kein Wunder, daß ihn im Heim alle lieben. (Diese Schwestern hier, alle so nett!)

C. ist angezählt. Die Zeit, die ihm bleibt, nutzt er fieberhaft, und ach! was ist der Rest der Welt so langsam. (Ich, zum Beispiel.)