Die Stadt läßt er aus, oder er wird ihr mit Laubbläsern ausgetrieben. Er findet vor ihren Toren statt, an ihren schmutzigen Rändern, mit Rainfarn und Parkplatzpfützen und Gänsekeilen über den Möbelhausreklamen.
Noch weiter draußen schmeckt die Luft nach Reisen, nach Ferne, und die trudelnde Kompaßnadel in der Brust bekommt mit einemmal eine Richtung. Der Wind steht günstig. Er rupft an den Wurzeln.
Ach, Herbst! Stürm ein wenig für mich mit.
Er sagt von sich, er sehe nicht besonders viel, und es scheint glaubhaft; zu seinem Blick hinter den Brillengläsern paßt in sich gekehrt. Auf seinen Wegen bleibt er nicht häufig stehen, er dreht sich kaum, bückt sich nicht oft. Nur selten spiegelt sich etwas in seinem Gesicht. Er spricht wenig von dem, was um ihn ist.
Manchmal blitzt etwas auf unter seinen sonst unscheinbaren Sätzen; man hört's, denkt, sagt: was?, und da ist es schon vorbei. Später aber kann das wieder auftauchen. Da trifft man Bilder, die man selbst vielleicht auch betrachtet hat, in seinen Worten wieder, und plötzlich sind sie zum Staunen: was er gesehen hat, ohne Aufsehens darum zu machen, ist hinter seiner Stirn zu einer Welt aus Worten gewachsen.
M. beschreibt einen Baum, eine Zugfahrt, einen Blick in ein Fenster und öffnet neue Augen, neue Welten. Mit den Dingen, die in sein Bewußtsein fallen, ist es wie mit Kieseln, die, stumpf an der Luft, unter Wasser in allen Farben leuchten.
Es ist zwei Jahre her, da fragte mich das Kind, gerade fünf geworden, ob ich reich sei, und ich sagte sofort und voller Überzeugung: ja! Das Kind machte große Augen und wollte wissen: Dann hast du ganz, ganz viel Geld? Da mußte ich dann doch lachen, halb über die Frage, halb über mich, und erklärte uns beiden: Ich habe jeden Tag zu essen, ich habe ein schönes Zuhause, so viele Geschichten, wie ich lesen will, ich kann hin, wo ich möchte, und alle meine Lieben sind in der Nähe. Das haben nur ganz wenige Menschen auf der Welt. Also bin ich reich.
Das Kind dachte kurz nach und sagte dann zufrieden, an seine Mutter gewandt: Ach, dann sind wir ja auch reich!
Mit sechs wollte das Kind wissen, woher das komme, daß man neidisch ist. Wir kamen zu keinem Ergebnis; aber das ist bekanntlich auch ein Ergebnis.
(Es ist dasselbe Kind, das mich vor kurzem mit der Frage überraschte: Man darf doch keinen zwingen, etwas zu glauben, nicht?)
In der Pizzeria erklärt der Kellner der Junggesellen-Truppe, es wäre nur für zwanzig eingedeckt, aber wenn sie ihren einundzwanzigsten Mann mit auf die Bank setzten ... Der Wortführer der Junggesellen antwortet, indem er Tonfall und Akzent des Kellners imitiert; seine Stimme füllt den Gastraum, ein Teil der Jünglinge am Tisch feixt. Der Kellner ignoriert's. Ich lote das Gefühl der Fremdscham aus.
Auf dem Markt sprechen zwei weißhaarige Damen auf Deutsch und Englisch (beides: eine Art von) mit einem älteren chinesischen Ehepaar. Alle Beteiligten amüsieren sich prächtig. Als die Chinesen weitergezogen sind, meint die eine alte Dame zur anderen: Siehschde, mer muß nur mol Sayonara sage, dann kann mer sisch mit dene aach unnerhalde.
Die Mutter steht am offenen Fenster und kämmt ihre drei kleinen Töchter, zwei dunkel, eine hell. Am Ende zupft sie die langen Haare aus der Bürste und läßt sie vom Wind davontragen. Draußen warten schon die Vögel, stürzen sich aus den Bäumen auf die leichten Bäusche und pflücken sie aus der Luft. Die Kinder schauen mit runden Augen zu: Was wollen die damit? – Nun, die nehmen euer Haar als Polster für ihre Nester, damit es die Vogeljungen schön weich haben.
Eins der drei Mädchen war ich. Der Gedanke gefällt mir noch heute: Federbetten für kleine Vögel; besser als die Vorstellung von Vogelnestern auf dem Kopf.