Kleine Geschichte für M.

Der Test für Frische, Straff- und Wohlgeformtheit: ob ein Bleistift, druntergeklemmt, hält oder nicht.

Hält: Durchgefallen. Fällt runter: Bestanden.

(Ist genau der Quatsch, nach dem es klingt.)

 

Als ich vielleicht zwölf war, verdrehte sich das Mannsvolk im Dorf den Kopf nach Manuela: sechzehn, gerade eben und unerwartet erblüht zur ländlichen Sexbombe. Ihre Uhrglasfigur wußte sie mit weiten Röcken und engen Blusen zu betonen. Ging sie mit Absätzen und Wippehaar durchs Dorf, folgten ihr die Blicke, und man hörte, je nach Jahrgang und Geschlecht, Abfälliges oder Anerkennendes über Beine, Titten, Arsch.

Die Mädchen meines Jahrgangs plagte Neid, nur halb verstanden; heimlich übten sie Lidstrich und probierten die BHs, die sie zuhause fanden. Doch was half's, wenn denen doch die Füllung fehlte: Manuelas Brüste, denen der Ausdruck Atombusen mühsam gerecht zu werden suchte, biblische Türme, ach, Möpse oder gar noch dickere Hunde, aufgeschürzt jeden Stoff straff spannend wie Beton.

Anschauen, anfassen, haben – nachts lagen sicher viele im Dorf wach und dachten an die Fülle von Manuelas Brüsten. Ich jedenfalls tat es. Irgendwann bald würde es auch bei mir so weit sein, und die Vorstellung, nie wieder auf dem Bauch schlafen zu können, quälte mich. Oder meine Füße nur zu sehen, wenn ich mich vornüberbeugte. Und immerzu beäugt zu werden. Ich zog die Bettdecke ganz fest, klemmte sie mit den Armen ein und betete inbrünstig, daß der liebe Gott mich verschonen möge – bitte, bitte nicht wie Manuela.

 

– Trägst du etwa gar keinen BH? – Spinnst du, wofür denn?





Aus Eichelhähern läßt sich eine schmackhafte Suppe zubereiten, überhaupt aus Krähenvögeln. Das erzählt in schwärmerischem Ton Herr B., der auch weiß, wie man an Krähen kommt: Man benötigt eine Lichtung oder andere freie Fläche und, in einem möglichst transparenten Käfig, der fürs erste in einem Sack steckt, einen Uhu. Den stellt man gut sichtbar auf, entfernt den Sack und geht in Deckung. Die Krähen sammeln sich bald und fliegen Angriffe gegen den vermeintlichen Eindringling. Jetzt, sagt Herr B., muß man nur noch geschickt mit der Zwille sein. Wie man das macht, verrät er ebensowenig, wie woher den Uhu nehmen.





H. war in Spanien, hat die Alhambra besucht, und was hat er mir mitgebracht?

In einem der ummauerten Höfe habe eine Fledermaus gelegen, ganz mittig und schwarz auf dem hellen Stein habe sie gelegen wie ein kaputter Regenschirm und geflattert, Atem geschöpft, geflattert, immer wieder.

Er habe sich gefragt, ob Katzen in diesen Innenhof finden, oder ob für so was morgens vor Öffnungszeit ein Mitarbeiter eine Hakenstange durch die Festung trägt.





Die Jungs drängeln sich um die strahlenden Vitrinen voller Schädel- und anderer Fragmente, tuschelnd, aufmerksam: mitternachts im Museum, großartig, selbst wenn's nicht verboten ist, kein Versehen und man nicht allein. Eben beugen sie sich über eine abstrakte Ritzzeichnung, Silhouetten aus Schlangenlinien, Leiber aus Brüsten und Hintern, sorgfältig schraffiert.

Einer liest vor: ... vier Frauen und ein Kind in einer Kiepe – was immer eine Kiepe ist – ah, das da, was dazwischen schwebt, das Kind? – Wo sind denn da Frauen, fragt ein anderer. – Na, da! Gehen nach rechts, hintereinander. – Ach, jetzt –. Von der Seite. – Und auch wieder keine Arme, keine Beine, keine Köpfe ... – Kraß, sagt der erste, ich meine, da saß einer im Kämmerlein, nee, in der Höhle, und hat sich darauf einen runtergeholt.

Anders gern hatte ich das unwillkürliche Ächzen im Zuschauerraum, als der Bürgermeisterdarsteller Ende zweiten Akts sich die Kleider vom Leib reißt, auch die Unterhose. Ganz viele Schulklassen im Publikum. Als er sich splitternackt ans Klavier setzt, kicherten sie dann schon, aber mehr so pro forma.

Sommer, noch nicht ganz verschwitzt.





Eine Handvoll Dunkles aufgeklaubt, wie's durch den Stuhlbeinwald auf dem Trottoir sich schleppt: zweidrittel Gefieder, ein Herz, das schier zerreißt vor Fliegenwollen, zwischen meinen Fingern kaum mehr als bebende Luft. Entschieden nicht von hier. Die Kellnerin mit ihrem Pappkarton und dem Telefon am Ohr meint es nur gut, doch die schwarzen Falkenaugen des Seglers können nichts anderes als Insekten und Ferne.