Für Läufer, vor allem aber wohl für alle anderen: Von der Langstrecke. Ein staubiger, verschwitzter, sehr langer Text.

Ich bestaune das sehr; ich verstehe nicht, wie man so etwas wollen kann, aber doch, jetzt. Ein wenig. Vielleicht.





Ich habe die Schaltsekunde gesehen, da war die Böllerei in der Stadt schon vorbei. Die Uhr zählte brav und hatte keinen Aussetzer; ihr Programmierer strahlte.

Neujahr ist sehr still, Schnee deckt den Unrat auf den Bürgersteigen zu, die Dächer sind ganz unbeschrieben und heller als der Himmel. Ich kann schon den Kehrwagen von der Stadtreinigung hören, hier sind immer ein paar Männer mit Reisigbesen dabei, die beseitigen am Feiertag die Kollateralschäden der Vertreibung böser Geister.

Hübsche Sache für eine ruhige Minute: Dialektforschung.

Glückliche Menschen leben länger, sagt H., weswegen er beschlossen habe, weniger Nachrichten zu lesen.

Gutes Neues!





Für diesen Ort muß man ein wenig tauchen, aber da, unter den vielen vergangenen Jahren, liegt er noch, gut erhalten, in ewigem Sommer.

Da fließt der breite, kinderknietiefe, murmelnde Bach, der eine Sie ist, denn hier sagt man so. Daß die Bach auch anders kann, sieht man an den ausgedehnten Wiesen, Auffangbecken für die Frühjahrshochwässer, links und rechts des Weidensaums.

Man muß den Pfad durch das hohe flirrende Gras kennen und so tun, als habe man nix weiter vor, und dann in einem unbeobachteten Moment zwischen die Bäume schlüpfen; die sind ein silberner Vorhang, spannen einen Schirm über der anderen Welt des Gewässers.

Hier drinnen ist es grün und kühl. Das Wasser hat in wilderen Zeiten das Ufer zwischen den vielfach geknickten Weiden zu runden Buchten ausgespült und mit Sand gefüllt. Hier ist alles: Schatten, weicher Untergrund, Liegeplatz auf einem schrägen Stamm gleich überm Wasserrauschen.

Bleibt man ein Weilchen hier und wird selbst ein wenig Weide, gibt es mehr: Sonnenflecken auf dem Bachgrund und glitzernde Fische darin, die sich nicht fangen lassen, auch mit Marmeladengläsern nicht. Vögel, die die Rinde auf und ab turnen. Höhlen zwischen den Wurzeln, die man von den Mäusen borgen kann für Nützliches und Schätze.

In den Stunden hier kann man Schönheit und Stille trinken, den Mücken auch was gönnen und sich gründlich in Bäche verlieben, in die ungekämmten Paradiese nicht weit vom Weg, die sich, das wird man noch merken, nicht teilen lassen, zumindest nicht mit vielen.

Später alles mitnehmen, was noch da ist von dem, was man hergebracht hat, und alle Spuren verwischen. Draußen ist die Luft beim Atemholen heiß, aber man weiß ja und wird immer wissen, wo die Weiden stehen.

 

(Herr Klagefall stellt wie immer die richtigen Fragen.)





The Universal Receipt Book von Colin Mackenzie, London 1829. Antiquariat Bulang & Zorn.

Im Fenster hängt ein Schild, groß: 20 % auf alles!, klein darunter: auch auf Tierbücher – lachend betrete ich das Geschäft, von dem ich schon befürchtete, es wäre nicht mehr; dabei ist es nur kleiner geworden. Aber es gibt sie noch, die wissenschaftlichen Bücher aller Fachrichtungen aus mehreren Jahrhunderten, gewohnt sorgfältig kuratiert.

Nach einer Viertelstunde unter Wörterbüchern (als hätte ich unendlich Regalplatz!) ein kurzer Schwatz mit dem Chef: ja, der Markt wird enger, weil eben vieles über das Internet läuft, und dann all die Digitalisate, da braucht keiner mehr das Buch. Und nein, Fraktur geht eigentlich gar nicht mehr. Das kann man nicht lesen; die Mühe macht sich kaum mehr jemand. Aber doch, ja, sie halten sich.

Derweil sitze ich auf dem Boden und fische Schätze aus den unteren Regalen. Jura, Theologie, Forstwirtschaft, Alte Sprachen, ganze Werkausgaben, halbe Bibliotheken – von Hölzchen auf Stöckchen komme ich auf unterhaltsamen Umwegen, und immer noch etwas Erstaunliches – ach, ich habe viel zu wenig Zeit.

Schließlich fällt mir eine ganz gute Zusammenfassung des Ladens in die Hände, ein englisches Buch aus dem Jahr 1829, in dem ein gewisser Colin Mackenzie alles zusammengetragen hat, was in seiner Welt nützlich zu wissen war: Five Thousand Receipts / in all the / Useful And Domestic Arts, / constituting / A Complete And Universal / Practical Library, / and / Operative Cyclopædia. Darin finden sich Rezepte für Holzbearbeitung, Gartenbau, Suppen; wie man Tinte macht, Kerzen und Wein, wie man Ohrwürmer aus den Ohren lockt (mit Äpfeln), wie man Bienen hält, Glas bläst, Quecksilber einfriert und Stiefel reinigt ... für alles eben. Das Buch hat 827 hauchzarte Seiten und ist so schön gebunden, daß ich es gar nicht aus der Hand legen möchte. Selbstverständlich bekomme ich auch diesen Universalschlüssel für die Welt um 20 % reduziert.

 

– Schau, ich war in einem Laden für alte Bücher und habe mir das komplette Internet für die Tasche gekauft. In gewisser Hinsicht. – Nie im Leben. Sind da die Pöbelkommentare unter Spiegel-online-Artikeln drin? Nein? Dann ist es nicht das Internet.





Ein Stein hat sich auf die Reise an die Nordsee gemacht. Mitfahrgelegenheit bietet ihm, in einer Satteltasche, Irgendlink auf seinem Weg nach Rotterdam. Den Stein hat mir die Ostsee am Strand einer dänischen Insel vor die Füße gelegt. Heißt nichts, und doch: auf natürlichem Wege wäre dieser Hopser in der Geographie wohl kaum geglückt.

Irgendlinks Rheinfahrt