Montag, 24. Januar 2022

T schaut sich gern im Internet Reaction videos an: Leute filmen sich, wie sie Musik hören, die sie vorher nicht kannten. So ist T auf August Schram und die Videos von Little Big gestoßen, das hat sich schon mal gelohnt; aber, sagt er, früher, da hätt's das nicht gegeben. Freiwillig oder unfreiwillig: Alle hörten dasselbe Radio, sahen dieselben Sendungen mit denselben Starauftritten, summten die Top Ten mit.

Beim Fernsehen war es noch extremer. Wer die Vorabendserien nicht gesehen hatte, konnte auf dem Schulhof nicht mitreden. Ob man es nun mochte oder nicht: man kannte das Programm, schließlich gab es nur eines für die ganze Familie.

So hatte sich T als Halbwüchsiger Sachen angeschaut, erst aus Langeweile, dann, weil's ihn gepackt hatte: Kunst- und Dokumentarfilme, Klassiker, Oper, Theater, Stummfilme, alles. Einmal schaute er sich abends Solaris von Tarkowskij an, und seine Oma, häkelnd und ketterauchend und mit dem Opa schimpfend, guckte mit; irgendwann kritisierte sie: Ei, is des awwer dunkel, des is jo wie beim Fassbinder!

Die Vereinzelung des Medienerlebnisses, das immer feinere Aufspalten in Nischen und Ritzen, das kam mit dem Netz. Der gemeinsame Boden ist weg, sagt T. Das letzte, über das sich wirklich alle unterhalten können, ist das Wetter; und sogar das hat jetzt, je nach dem, wen man fragt, verschiedene Ursachen.