Ich lebe mittendrin, in einer Gegend der Seitengassen, der Wohnhäuser mit Ladenlokalen im Erdgeschoß; in jeder Straße muß es einmal einen Bäcker, einen Metzger, ein Geschäft des täglichen Bedarfs gegeben haben. Schon als ich herzog, standen die meisten davon leer.
Die, die es noch gab, haben mich entzückt: die Bäckerei, das Kleidergeschäft mit der eigenen Schneiderei, das Reisebüro (wirklich! ein Reisebüro!), der Weinladen, ein Herzblut-Geschäft, das vollkommen zeitgeistfreie Café, das Fotokopiergeschäft mit dem betagten Maschinenpark.
Jede Woche habe ich Verluste zu beklagen. Geschäft um Geschäft macht zu; Ladenlokale werden bestenfalls in Büros und Wohnungen, schlimmstenfalls in Spielcasinos verwandelt. Hier und da gibt es kurzlebige Neugründungen. Übernahmen bestehender Läden gibt es kaum; wer will schon zu miserablem Stundenlohn im eigenen Geschäft stehen und hoffen, daß er die Miete zusammenbekommt?
Es sind ja nicht die zahlungskräftigen Unternehmen, sondern genau diese kleinen Läden, die der Stadt ihr Gesicht geben und sie lebenswert machen. Es kommt nichts Neues nach. Mein Viertel stirbt.
(Immer verliebe ich mich in Orte; und dann brechen sie mir das Herz.)
Als ich vor 22 Jahren in mein Viertel zog, gab es noch ein Milchgeschäft (ausschließlich Milchprodukte), das aber recht schnell das Sortiment mit Wurst ergänzte (die beste Gelbwurst außerhalb Frankfurts), und schließlich doch schließen musste. Gehalten haben sich ein Messerschleifer, ein Zeitungsladen, dessen Inhaber, glaube ich, vor zwanzig Jahren hätte in Rente gehen sollen, und eine Bäckerei mit angeschlossenem Schreibwarenladen. Ansonsten Schickimicki und Chichi. Was mir Hoffnung gibt, sind die Afghanen mit ihrem fremdartigen, aber umfangreichen Sortiment auf kleinem Raum.
Sehe ich hier auch: Onkel Ahmed statt Tante Emma; das ist schon mal bestens. Ich hoffe sehr, der bleibt und kann sich weiter die Miete leisten. Was ich aber von immer mehr Nagelstudios halten soll und einem Friseur in jedem fünften Haus, das weiß ich nicht. (Milchgeschäfte! So was gibt's hier nur noch auf dem Wochenmarkt.)
Zum Ausgleich für das Absterben der Innenstädte machen dann außerorts überall diese lustigen Logistikzentren auf. Perlen der Landschaft.