Gespräch mit einer gar nicht viel älteren Frau. Es geht um die Mobilgeräte, über die sich alle immerzu beugen, um Verfügbarkeit von Wissen und Dingen und Menschen (zumindest virtuell) und um Kinder, die immer schlechter warten können, sich nicht allein beschäftigen, nicht durchhalten. Sie darf besorgt sein, sie arbeitet in der Förderung beeinträchtigter Kinder; und da, sagt sie, sieht sie die Schäden dieser neuen Welt.
In der Schule haben sie Defizite. Da sollen sie auswendig wissen, was jede Suchmaschine zu Millionen Treffern führt. Sie sollen kopfrechnen, zeichnen, lesen und verstehen, wo's ein Video täte. Zeitgemäß ist das nicht: auf ein Leben zwischen Bildschirmen, mit schnellen Entscheidungen, auf Multitasking und Flexibilität werden Schüler nicht vorbereitet in der Schule.
Wir beide sind ja froh, in einer Welt auch ohne Strom, ohne Geräte existieren zu können. Langsam sein, gründlich sein, unabhängig sein. Nicht leiden, wenn nicht alles gleich zu haben oder sicher zu wissen ist.
Und ich denke, wir zwei, wir werden bald nicht mehr zu denen zählen, die die Köpfe schütteln über Leute, die nicht mehr nichts tun können. Uns wird man mit Befremden betrachten, Angehörige eines fremden Volkes; wir werden die mit den Defiziten sein oder, wer weiß, vielleicht konserviert und in ein Museum gesteckt werden.
Der Firmenvorstand wendet sich per Videobotschaft an die Mitarbeiter. Der Vorgesetzte ist kaum mehr in der Lage, eine logische Aktennotiz in einigermaßen korrekter Sprache zu schreiben. Wir sollen der Kundschaft nicht mehr schreiben, sondern möglichst nur noch telefonieren. Wenn wir dann doch schreiben, weil wir die Kundschaft nicht erreichen, weil nämlich die Kundschaft tagsüber auch im Büro, im Geschäft oder in der Fabrik ist, dann mit Formulierungen, die so primitiv sind, dass sie missverständlich werden. Bewegen wir uns auf eine Gesellschaft funktionaler Analphabeten zu? Ich halte mich schon länger für ein Fossil. (Allerdings gebe ich zu, dass auch ich manches Wissen nicht im Hirn speichere, weil ich es jederzeit googeln kann.)
Was war der letzte so riesige Sprung zwischen den Generationen? Vielleicht die flächendeckende Einführung des Fernsehens? Davor der Buchdruck, davor die Verbreitung der Schriftsprache? Vielleicht wachsen künftig Menschen heran, die sich unglaublich gut mündlich ausdrücken und darstellen können und Zwischentöne besser aufnehmen (oder was weiß ich)? Ich bin skeptisch. Für jede Fähigkeit, die man drangibt, gewinnt man irgendwas; aber ich weiß nicht, ob es mir das wert wäre.
ich geniesse das pralle leben hier im museum und kann den kommenden friedhöfen digitaler verblödung nichts abgewinnen und um deren "fortschritt" wenigstens noch satirisch zu verwurschten fehlt ja die substanz blöde öde
auch ich gehöre zu den leuten, die pausenlos auf ihr mobiltelefon starren und herumwischen. es nervt mich selbst schon maßlos, gerade im augenblick schleppe ich das handy herum obwohl ich wahrlich unendlich besseres zu tun habe.
aber ich habe für mich herausgefunden, warum ich das mache: ich vertraue dem glück nicht, ich vertraue dem verbundensein mit anderen menschen überhaupt nicht mehr, und muss mich deshalb dauernd versichern, dass es eh stimmt, dass da wer ist, der an mich denkt, an den ich denken darf.
ich glaube ja dass es ursache und wirkung in einem ist: die einsamkeit in den großen städten hat uns befreit und freaks wie mich überleben lassen, die sonst an der ländlichen ausgestossenheit zugrunde gegangen wären. aber einsam sind wir dennoch weil die verbundenheit mit anderen oberflächlich (geworden) ist. weil wir unseren wahren kern so selten zeigen können, der bräuchte natur und wildheit, dinge die schwer verfügbar geworden sind. gemeinsam handarbeiten, aufräumen, kochen, spazieren gehen, leben.
ist das zu banal? mir fehlt es jedenfalls und ich sehne mich nicht selten nach der 'alten' zeit im hexenhäuschen meiner oma in den bergen oder nach oben am steinhof, wo es wenig gab, aber gerade das hat glücklich gemacht. auch wenn es eine platitüde ist: einfach leben hilft. raus gehen können. zu viele dinge machen traurig und belasten. aber nichts tun ist so schwer! loslassen auch! oder die zeit in der rückschau ist besser aus nostalgischen gründen? ich weiß es nicht.
vermutlich ist das alles viel komplexer...
Das heißt, Sie kennen ein Leben mit wenig und wissen, daß es Sie zufrieden machen kann, manchmal. (Steinhof und Hexenhäuschen, das klingt nach Sehnsuchtsorten.) Ich frage mich nur, was für Erwachsene die Kinder werden, die nichts anderes kennenlernen als eine elektronisch vermittelte Welt.
entschuldigen sie bitte meine vielen worte, es hat mich sehr betroffen gemacht, was sie geschrieben haben.
sie haben recht.
da hilft nur das fossil-dasein zu lieben und zu kultivieren.
ich glaub jedoch, solange es die natur gibt wird es die sehnsucht nach dem wesentlichen geben. aber sie ist ja auch in großer gefahr. doch wer weiß, was noch kommt? bakterien die plastik essen, las ich unlängst...
Nichts zu entschuldigen; ich würde das gern besser verstehen, warum wir so anfällig sind für das Vernetztsein. Ihre Erklärung ist einleuchtender als manch andere.
Wir sind nun mal Herdentiere (die einen mehr, die anderen weniger), und das Netz (vor allem in seiner mobilen Ausprägung) konditioniert uns immer mehr dahingehend, das Verbundensein als Normalzustand zu begreifen.
Selbst eine solipsistische Tätigkeit wie das Radfahren ist für viele nur noch attraktiv, wenn man per App virtuelle Wettrennen fahren kann gegen andere, welche den gleichen Streckenabschnitt auch schon rauf- oder runtergestrampelt sind; am besten, die Vitaldaten (Puls, Atmung etc.) und die getretenen Wattzahlen werden auch in die Welt hinausgeblasen.
Selbst ein blöder Tatort am Sonntagabend kann kaum noch geguckt werden, ohne dass der Welt per Twitter mitgeteilt wird, ob man sich davon grad gut unterhalten fühlt oder nicht. Und meine Tochter (11) fiebert dem Tag entgegen, an dem sie ihren einen Youtube-Kanal eröffnen darf. Es ist kein Trost, wenn ich sage, von mir hat sie das nicht...
Dauerverbundensein empfinde ich als Streß; ich brauche meine Auszeiten mindestens so wie den Austausch. Das scheint auch anderen in meiner Umgebung so zu gehen. Die haben kein Mobiltelefon, lesen ihre Mails nur alle paar Tage, lassen den AB rangehen und so weiter. (Oder sie sind 24/7 verfügbar und leiden darunter.) Mag sein, daß das wirklich eine Generationenfrage ist und daß die Nachwachsenden sich eingebunden fühlen wollen, weil sie es als Notwendigkeit gelernt haben? Für mich schwingt da immer mit, daß ich mich komplett beobachtbar mache; schon deshalb bin ich gerne ohne Leine.
danke, dann spekuliere ich mal munter weiter:
vielleicht ist es aber auch ein schritt in der evolution? erst die transzendente überwachung durch einen gott der alles sieht und weiß, dann sein tod, der ein vakuum hinterlassen hat und jetzt die big brother variante, in der aber soviel daten existieren dass niemand mehr auszuwerten in der lage ist, was der einzelne so treibt? das bataclan zu verhindern war nicht drinnen. schockierend, in der tat. also bleibt es beim schicksal, respektive zufall, ob man opfer eines verbrechens wird, jemand die daten stehlen kann und damit schindluder betreiben oder nicht. oder ob alles im weißen rauschen der schieren menge untergeht.
aber vielleicht beruhigt es den menschen, wenn er zumindest möglicherweise kontrolliert wird? weil er weniger verantwortung übernehmen muss? sagt man doch gemeinhin so über religion...
ich träume: der mensch, der heute geboren wird, ist eines tages bereit den nächsten schritt zu tun, die volle tragweite seines handelns zu erkennen und auf geistige hilfsmittel zu verzichten, die er gebraucht hat um das rätsel der existenz auszuhalten.
dann wäre die transparenz, die wahrheit quasi, so verfügbar, dass das letzte geheimnis die menschen wieder verbinden kann und nicht durch hektische, ja panische suche nach antworten immer weiter voneinander entfernt.
keine ahnung. schön wär's. ein hoch dem mysterium!
hoffe das ist nicht zu wirr...
@ mark793: Was Sie da schildern, kenne ich nur aus zweiter Hand aus dem Netz. Wer diese Leute sind, die in Echtzeit über den Tatort twittern oder virtuelle Rennen fahren, weiß ich nicht, auch nicht, wie viele das sein mögen. In meiner Umgebung macht jedenfalls niemand so etwas. (Glaube ich, ich bin ja nicht dabei, ich habe keinen Fernseher.)
Generationenfrage? Glaube ich nicht. Ich erlebe Menschen, die ich für mindestens so alt halte wie mich, dabei, wie sie schon mit dem Telephon an der Backe in die Straßenbahn einsteigen und dann in einem fort quatschen, eine halbe Stunde und länger, bis sie aussteigen, das Gerät immer noch an der Backe; und ich sehe Menschen meines Alters stundenlang auf irgend eins von diesen Schächtelchen starren, als erwarteten sie von dort ein rettendes Orakel (oder ein Todesurteil). Nein, ich denke, es ist eine Frage des Menschentypus. Wahrscheinlich gibt es einfach mehr kuschelbedürftige Menschen als solche, die Abstand brauchen.
Ja, wahrscheinlich. Allerdings darf man mich gerne Alufolienhutträger nennen, wenn ich meinem Verdacht Ausdruck verleihe, dass wir es da weniger mit Evolution zu tun haben als mit gesteuerter Konditionierung. Gut, der weitere Weg muss nicht zwangsläufig in eine Gesellschaft von ferngesteuerten Borg-Drohnen oder in andere digitale Mega-Dystopien führen, aber das Potenzial dazu ist da, und man müsste völlig verblendet sein, das nicht zu sehen.
Liueas Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen. Das Überwachtwerden scheint für manche so etwas zu sein wie "der liebe Gott sieht halt alles"; die Aussage "ich habe nichts zu verbergen" setzt ein duldendes, wenn nicht gar wohlwollendes höheres Wesen voraus, das das schon sehen und entsprechend bewerten wird. Und ist ja auch beruhigend, irgendwie. Als Fortschritt würde ich das allerdings nicht sehen; wenn das ein menschliches Grundbedürfnis ist, dann eines, das sich trefflich ausnutzen läßt für Werbung und Beeinflussung. Davor warnt inzwischen die ZEIT, Zeitung für Fossilien. Aluhüte für alle!
Ich hätte ja die Hoffnung dass es dann so wie gottes Tod ein Ende des sich freiwillig auslieferns gäbe... Aber vielleicht kommt dann eine neue Religion oder die Zivilisation geht eh unter wie alle großen Völker.
Meine zweite Hoffnung, die Überwachung durch eine wirre Menge an Daten zu überlisten ist wohl naiv.
@Lakritze: Das glaube ich nicht, daß es quasi ein Bedürfnis nach Überwachtwerden gibt. Ich halte die Phrase vom Nicht-zu-verbergen-Haben für eine Schutzbehauptung vor sich selbst, mit der man seinen Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen glaubt. Andernfalls müßte man sich nämlich wirklich mit dem Problem auseinandersetzen; müßte sich der unangenehmen Erkenntnis stellen, daß man selbst auch überwacht wird; müßte sich außerdem der Einsicht stellen, daß einem das durchaus unangenehm ist, ja, daß man Angst und Wut darüber empfindet. Das sind negative Empfindungen, die vermeidet man lieber. Also sucht man sich selbst einzureden, daß die Überwachung ja nur die anderen betreffe, man selbst hat ja nichts zu verbergen, bitteschön, schaut mir nur ins Wohnzimmer. Es ist viel leichter, "nichts zu verbergen zu haben", als, was man zu verbergen hat, verbergen zu müssen.
ich denke es gibt ein bedürfnis nach abgabe der zuständigkeit. weil wenn jeder mensch tatsächlich verantwortung übernehmen würde, sähe die welt recht anders aus.
das spirituelle ist doch in der pyramide ganz oben, nach der befriedigung der anderen bedürfnisse, es kommt also zwangsläufig irgendwann herbei geschlichen und selbst große physiker konnten sich nicht vorstellen, dass es ohne vernunft möglich wäre, die zusammenhänge zu erfinden, die unser universum zusammenhalten.
wenn es dann da ist, und der mensch nach tranzendenz strebt, hat er die wahl: religion, abgabe der verantwortung an gesetze und regeln oder die demütige einsicht, dass er nichts je verstehen wird können, denn je mehr er weiß, desto weniger wird ihm klar sein, warum er sich einfluss vorgaukelt. weil er erkennt, dass er staub ist. ein gedanke, ein blinzeln, mehr nicht.
dann stellt sich die frage nach dem 'nichts – zu – verbergen – haben' plötzlich nicht länger. weil es endlos unwichtig ist, ob man angst hat oder freude empfindet, weil der wechsel der gefühle, der zustände, erst das leben ausmacht. vielleicht wird die völlige transparenz vielfältige verbrechen verhindern helfen, vielleicht auch nicht. aber ich denke, es werden sich neue formen der kommunikation auftun. vielleicht ein vertrauen auf übertragungen, damit meine ich, sechste sinne nutzen, sinne die heutzutage esoterisch besetzt sind und damit habe ich null zu tun, aber es gibt ja schliesslich entwicklung, wir sind aus der ursuppe gekrochen und irgendwann können wir vielleicht auf wegen kommunizieren, die heute unvorstellbar sind. weil wir beginnen teile unserer gehirne zu nutzen, die heute brach liegen. wer weiß das schon? vielleicht macht uns die technik gerade dazu fähig, weil sie unsere aufmerksamkeit streut und damit etwas trainiert, das wir heute noch nicht kennen?
anderes wie auto könnte man gut und gerne abschaffen :D
ps. früher dachte man, mehr als 30 km/h mit dem zug zu fahren wäre lebensgefährlich auf dauer. lustig oder ?
Meine zweite Hoffnung, die Überwachung durch eine wirre Menge an Daten zu überlisten ist wohl naiv.
Ja, ziemlich. Zum einen, weil es einen Algorithmus kein bisschen ermüdet, das Sieb ein paar mal mehr zu schütteln, und zum zweiten, weil ungewöhnliche und unplausible Muster grad erst recht auffallen. Wenn man also weiterhin unterhalb des Radars fliegen möchte, wäre es geschickter, sich normal und unauffällig zu verhalten. Aber damit beugt man sich dem subtilen Druck der Überwachungslogik ja auch schon ein Stück weit.
Sich aus allem rauszuhalten, kein Facebook-Profil zu haben und nur mit einem Prepaid-Handy unterwegs zu sein, kann einen auch schon verdächtig machen. (Sorry für die Selbstverlinkung, aber ich habe mich im FAZ-Blog vor einigen Jahren ziemlich abgearbeitet an dem ganzen Themenkomplex Überwachung etc., das vielleicht als Hintergrund dazu, woher sich mein Unbehagen an der Entwicklung speist). Wir erleben in immer mehr Bereichen eine Beweislastumkehr dergestalt, dass wir uns nackig machen müssen, um unsere Unschuld und Wertigkeit zu beweisen, das ist die politisch-gesellschaftliche Seite der Medaille, die andere ist die merkantile Seite, dass die ganzen elektronischen Errungenschaften nicht zuletzt darauf abzielen, die Impulskontrolle zwischen sehen-habenwollen-kaufen-und- bezahlen immer weiter auszuhebeln, und da herrscht natürlich auch der Glaube vor, je mehr Datenpunkte man von seinen Adressaten hat, desto zielgenauer und effektiver lassen sie sich konsumstimulieren.
Ach, ich könnt da stundenlang referieren...
ja das ist interessant. zu verbergen hätte ich im speziellen viel, einem potentiellen neuen arbeitgeber gegenüber zb mein 'einen an der klatsche haben' aber wenn ich ehrlich bin mache ich aus meinem herzen in so wichtigen angelegenheiten eh keine mördergrube und in einer welt in der für menschen mit beeinträchtigungen kein platz ist möchte ich sowieso nicht leben. so sehr hänge ich nicht an meinem persönlichen dasein.
gestern las ich etwas über game of thrones, darüber dass die barbarei ein teil unserer menschheitsgeschichte sei. den es zu überwinden gilt. hehre vorsätze, undurchführbar in meinem dafürhalten. sie schlummert kurz unter der oberfläche, auch ein allgemeinplatz. und zwar bei jedem und jeder da draußen und drinnen.
aber das bewußtsein eben jener eigenschaft(?) hilft, sie in zaum zu halten. vielleicht ist es mit dem umfassenden wissen über wege, einkaufsgewohnheiten, krankheiten und vorlieben auch so. wenn ich weiß, einer (wer auch immer) kennt sie, kann ich sie vor mir selbst auch nicht mehr verbergen. werde ich also zivilisierter. wäre doch schön! und wenn es so leicht wäre, eine tolle idee gut zu vermarkten, dann wäre das öfter möglich als nur für die paar superreichen. es ist eben nicht easypeasy, ein rezept für einen superhit herzustellen, auch wenn das manchmal gelingen kann. das meine ich mit mysterium! wer hätte gedacht, das leggings und nordic walken so modern werden können, so, verzeihung nur beispiele, hässliche dinge? welcher logik folgt das?
aber ich komm von hundertsten ins tausendste, ich glaub ich trolle mich wieder in ein eigenes blog...
ps. ich find das aber auch ganz mies, big brother und soma! ich hoffe das ist nicht falsch angekommen!
Mark: hier offene Türen. Am Ende steht sicher nicht das Wohl des Menschen, sondern die Verwertbarkeit seiner Daten. Will ich die nicht rausrücken, kostet das. Mich fasziniert an der Sache am meisten, daß wir, die wir uns als einzigartig auffassen, offenbar so berechenbar sind -- ohne daß da ein Interesse am Einzelnen vonnöten ist. Daß man unser Verhalten verstehen und beeinflussen kann, wenn man nur Daten in der nötigen Menge hat. Und daß Menschen Algorithmen so weit vertrauen, daß sie sie sogar prädiktiv einsetzen. (Kinder, die nicht mehr schreiben, sondern nur noch tippen lernen sollen, passen da ins Bild.)
Ja, faszinierend ist das - bei allem Grauen, das damit einhergeht - allemal. Und obschon Mathematik/Statistik nie meine starke Seite gewesen ist, hat mich dieses Anwendungsspektrum schon immer interessiert. Kumulativ hatten wir das prädiktive Element ja schon länger (Wahlprognosen, Absatzplanung etc.), den eigentlichen Paradigmenwechsel sehe ich in der zunehmenden Herunterrechenbarkeit von allen möglichen Prognosen auf die individuelle Ebene.
Und da springt er, der Punkt: wir empfinden als grauenhaft, überwacht, berechnet, verwertet zu werden. Unser Begriff von Freiheit beinhaltet: in Ruhe gelassen werden. Eigene Entscheidungen treffen können (selbst wenn sie falsch sind). Unsere Kinder und Enkel werden das anders sehen; da wird Freiheit vielleicht definiert sein als: bequem und sicher leben, sich um nichts mühen müssen. Für mich (als Fossil) sind das finstere Aussichten; aber vielleicht ist es, wie liuea es beschreibt, für die Späteren einfach eine neue Entwicklungsumgebung mit neuen Chancen.
Ich bin für den Hinweis auf die neuen Chancen sehr dankbar, denn tatsächlich neige ich dazu, die Risiken etwas prominenter wahrzunehmen. Schimpfe man mich gerne einen Kulturpessimisten, wenn ich der Sorge Ausdruck verleihe, dass sich die neuen Spielräume überwiegend in die Richtung öffnen werden, dass sedierende Unterhaltungsserien direkt ohne Endgerät und Medienbruch in die AV-Areale der Hirne gebeamt werden und wir (beziehungsweise unsere Nachfahren) ansonsten wie Borgdrohnen permament in Verbindung mit dem Kollektiv sind und sich damit auch sauwohl fühlen. Die Konditionierung dahin läuft schon auf vollen Touren, und wohl dem, der das passende mindset mitbringt für die schöne neue Welt!
Ich stand einmal in einem verspäteten Regionalzug neben zwei jungen Leuten, die sich darüber berieten, mit welchem Zug sie angesichts der Verkehrslage nun am nächsten Bahnhof am besten weg- und am schnellsten zum Ziel kämen. Ich hätte ihnen helfen können, doch bevor ich im Geist die Möglichkeiten durchgegangen war, hatten sie's schon über die Heimseite der Bahn herausgefunden -- und besser, als ich es ihnen hätte ungefähr sagen können, obwohl ich den Fahrplan auf bestimmten Strecken auswendig weiß.
Faktenwissen wie etwa dieses, den Fahrplan im Kopf zu haben; aber auch: wissen, was für ein Baum, was für ein Pilz das ist; wissen, in welchem Buch ein bestimmtes Zitat steht; den Weg von Hintertupfigen über Oberursenbach nach Vorderdimpfelbrunn beschreiben können; eine Handvoll Telephonnummern, Geburtstage und Postleitzahlen im Kopf haben -- wird bald schon keinerlei Wert mehr haben. Hat schon keinen Wert mehr. Ortskenntnis bringt beispielsweise keinen Vorteil in einem Stau gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, wenn alle ein elektronisches Navigationsgerät haben. Sich auszukennen hat dann nur noch den Charakter einer Kuriosität. Guck mal, der kann auf den Händen gehen. Guck mal, der kann eine Eiche am Blatt erkennen. Wie süß.
Ich finde das schade, weiß aber, daß ich schon verloren habe. Ich bin ein dämlicher alter Grieche, der die Erfindung der Schrift verteufelt, weil jetzt keiner mehr den Homer auswendig lerne.
Dann warten Sie mal, bis der Strom ausfällt / Funkloch ist / das Gerät in den Matsch fällt / geklaut wird. Oder so was. Ich kenne Leute, die haben nicht mehr heimgefunden, weil das Navi kaputt war. Neenee.
Kommt selten bis nie vor, das ist ja das schlimme. Es gibt zig Redundanzen, Back-Ups, Notstromaggregate etc. Es müßte schon einen totalen Ausfall geben, damit sich das System von der empfindlichen Seite zeigt. Das wird nicht passieren.
... oder, wahrscheinlicheres Szenario, es müßte plötzlich etwas kosten, oder die AGBs werden häßlich geändert ...
Wer von Ihnen kann noch ein Kursbuch (Bahn)lesen? Vor zwanzig Jahren schon wurde ich zur Kuriosität am hiesigen Hauptbahnhof, weil ich versuchte, ein solches Buch zu kaufen. Von einem Gleichaltrigen wurde ich belehrt, dass man sich diese Informationen heutzutage an einem der Automaten in der Bahnhofshalle besorgen könnte. Ein paar anwesende ältere Eisenbahner konnten sich hingegen nicht beruhigen, dass "so eine junge Frau" noch mit einem Kursbuch umgehen konnte (ich habe Eisenbahner in der Familie, ich habe das gelernt, sobald ich lesen konnte).
Oh! Über die "Städteverbindungen" bin ich nie hinausgekommen, und die gibt es leider nicht mehr. Das Kursbuch aber auch nicht, so weit ich weiß; eine Bekannte hat letztes Jahr erfolglos versucht, eines zu kaufen. Bei der französischen Bahn kann man nicht einfach im Netz nach Zügen schauen. Jede Anfrage nach einer bestimmten Verbindung schraubt den Fahrpreis in die Höhe. Das ging auf Papier nicht; die SNCF sieht das sicher als Fortschritt.
Jede Anfrage nach einer bestimmten Verbindung schraubt den Fahrpreis in die Höhe.
Wieder mal ein schönes Beispiel dafür, wie wir mit unseren Daten quasi die Munition für die Jagd gegen uns liefern. Ich sehe es kommen, dass selbst der morgendliche Brötchenkauf noch zum Warentermingeschäft wird: Normale Brötchen wieder teurer geworden? Ja, es waren halt schon drei Kunden vor Ihnen da, hätten Sie mal vorige Woche mit Frühbucherrabatt welche reserviert...