Meine Freiheit ist: abtauchen. Vom Radar verschwinden. Aus dem Raster fallen. Unbehelligt, unbewertet, unbeobachtet Privatsachen tun können.
Wir leben in einer Solidargesellschaft. Alle zahlen Steuern, Beiträge, Rücklagen für Man-weiß-es-nicht, und auch Raucher haben eine Krankenversicherung, Raser eine Unfallversicherung, auch Leute mit geringem Karriereinstinkt ein notdürftiges Auskommen. Wir haben in gewissen Grenzen die Freiheit, Dummheiten zu machen. Diese Freiheit sind wir im Begriff, aufzugeben zugunsten von ... ja, was? Der absoluten individuellen Verantwortlichkeit. Niedrigere Beiträge für Nichtraucher, geringere Kreditwürdigkeit für Leute aus der falschen Wohngegend. Alles passend nach Datenlage zugeschnitten. Risikominimierung.
"Früher bin ich einfach losgelaufen, zwanzig, dreißig Kilometer durch den Wald. Unbesorgt. Würde ich irgendwo umfallen oder mir den Knöchel brechen, würde es heute heißen, wieso hat der kein Mobiltelefon dabei gehabt?"
Es geht vielleicht irgendwann nicht mehr darum, die Privatsphäre als persönlichen sicheren Raum zu verteidigen, sondern als einen der Unsicherheit. Unverwertbarkeit.
– Was möchten Sie, daß aus Ihrem Kind einmal wird? – Es soll ein gutes Leben haben, überall zurechtkommen, keinen Mangel leiden. Es soll sich mal aussuchen können, wie es lebt.
Als ein guter Grund, einen Teil der Freiheit wegzuschenken, gilt landläufig die Liebe.
Von. Und zu.
Die Krähenvögel, die auf der Autobahn von der Fahrspur flüchten bis exakt über die durchgezogene weiße Linie; und wie sie dann dahinter stehen, als könne ihnen keiner was.
Die Freiheit, einfach loszulaufen, ohne Mobiltelephon, die hat ja nach wie vor jeder. Überhaupt haben wir eine Menge Freiheiten, nur machen wir davon kaum je Gebrauch.
Man muß, denke ich, auch unterscheiden, was man genau jeweils darunter versteht, frei zu sein, denn das kann ja ganz unterschiedliche Dinge heißen, etwa die Freiheiten, die das Grundgesetz garantiert. Oder Freiheit von behördlichen oder gesetzlichen Regelungen -- beispielsweise, jeden Waldweg nutzen zu dürfen. Oder die Freiheit, niemandem Rechenschaft darüber schuldig zu sein, wo man sich gerade aufhält. Die Freiheit, einfach loszulaufen, setzt noch mehr als nur Mut voraus, zum Beispiel, es überhaupt zu können, also nicht etwa ans Bett oder den Rollstuhl gefesselt zu sein. Diese letzte Freiheit über unseren eigenen Körper reicht nur so weit, wie wir im Vollbesitz unserer Kräfte sind.
Und wie frei ist man, wenn man nur die Wahl zwischen einer begrenzten Zahl von Alternativen hat? Ist solches Entscheiden frei zu nennen?
Manche Freiheit, die man sich nimmt, fügt gar einem andern Schmerz zu. Wie frei ist man in einem solchen Fall? (Da Sie von Liebe sprachen.) Wer frei ist, kann Fehler machen. Davor haben viele Menschen Angst.
Was Freiheit ist, weiß man ja immer erst, wenn sie eingeschränkt wird. Mit meiner Vorstellung von Freiheit bin ich wohl ohnehin Auslaufmodell; die Generation Babyphon findet offenbar gar nicht viel dabei, daß ihnen dauernd jemand über die Schulter guckt.
Es scheint mir einen grundlegenden Konflikt zu geben zwischen Freiheit und Bequemlichkeit, zumindest was Errungenschaften der Technik angeht. Beispiel Buchbestellung: klar weiß dann ein Großerböserkonzern, was ich lese (oder zumindest, was ich kaufe), klar kriege ich dann nur noch Sachen angezeigt, die in meine Filterblase passen. Auch klar, daß so Läden und damit Städte sterben. Aber ist doch so bequem!
Was die Buchbestellung betrifft, da hat eine Buchhandlung in meiner Nähe ein für mich sehr praktikables System (wobei ich erklären muss, dass ich von Berufs wegen im Privatleben manchmal keine Menschen mehr ertrage und oft lieber schriftlich kommuniziere). Diese Buchhandlung hat eine Homepage, auf der man per E-Mail Bücher bestellen kann. Sobald sie eintreffen, erhält man eine Mail, und dann geht man hin und holt die Bücher ab. Für mich sind das zwei Fliegen mit einer Klappe: ich muss nicht viel mit Menschen reden, aber eine kleine Buchhandlung in der Nachbarschaft macht ein Geschäft.
@Lakritze: Aber ist das eingeschränkte Freiheit, wenn jemand zuschaut?
Frau Trippmadam, so ein Abkommen habe ich mit einer Buchhandlung hier auch. Und das Schöne ist: wenn ich hingehe und eine Frage habe, dann werde ich beraten von Leuten, die mich überraschen können.
Herr G-Moll, ich denke immer noch nach über Schmerz und Freiheit und Liebe; einstweilen: ja, ich empfinde es als Einschränkung, etwas nicht unbeobachtet machen zu können. Früher wäre das vielleicht gewesen: da zerreißen sich die Nachbarn das Maul. Heute: da wird etwas kommerziell verwertet, was mir gehört, nämlich private Entscheidungen; bzw.: da werde ich unter Verdacht gestellt, meine Aktivitäten werden überwacht (oder einfach: seelenlos aufgezeichnet), weil ich was im Schilde führen könnte. Das nimmt mir die Unbefangenheit.