H., immer gut für Antworten, sagt: natürlich sind Verschleierungen Frauenunterdrückung, und als ich schon tief Luft holen will, fährt er fort: genau wie amerikanische Serien auch, überhaupt diese Ideale von Weiblichkeit. Verbote seien unter der Würde einer freiheitlichen Gesellschaft, aber Nachdenken wäre schon mal angebracht.

Beim Wandern dem Sonntagsläuten erlegen. Ich weiß nicht, wie viele Menschen hier noch zum Gottesdienst gehen, aber sämtliche Kirchtürme, die hochgotischen wie die dörflichen, evangelisch und katholisch gleichermaßen, erfüllen die Täler der Gegend mit Jubel. Für mich ein Kindheitsklang, und die Gewißheit: ich könnte in irgendeinen Gottesdienst spazieren und mitfeiern und würde mich nicht ganz fremd fühlen dabei.

Später bin ich dann doch wieder außerirdisch: wo kommen Sie her? Ah, dann parken Sie an der Hauptstraße? Ach, mit dem Zug ... nein? Wie? Zu Fuß?? – Das scheint immer eine Rechtfertigung zu fordern, dabei mache ich das ja nicht, weil ich muß, sondern weil ich's kann.

Die Bänke am Fluß sind nicht bloß besetzt, sondern umlagert; Leute stehen davor, stützen sich von hinten auf die Rückenlehne. Alle Bänke bis auf eine: darauf sitzt eine einzelne Gestalt mit lackroter Haut, von der Schuppen schneien, und kratzt sich mit beiden Händen. Der Wind trägt einen medizinischen Geruch herüber. So viel Platz hat hier niemand sonst.






Da möchte ich H. aber widersprechen: Die Verschleierung ist nicht frauenverachtend; frauen- bzw. menschenverachtend ist der Zwang. Aber Obacht: Beide Zwänge halte ich für menschenverachtend, den zur Verschleierung ebenso wie den zur Entblößung.


Ich glaube, da widersprechen Sie ihm gar nicht. Druck wird auch vom geltenden Schönheitsideal ausgeübt; jede Norm beinhaltet den Zwang, ihr zu entsprechen. Ich bin zwiegespalten: Eine Gesellschaft definiert sich über klare Normen, aber sie muß auch stark genug sein, Abweichungen auszuhalten. Ich finde nicht, daß Normen menschenverachtend sind; menschenverachtend ist: Menschen an nichts als ihrer Normerfüllung zu messen.