Alle Welt redet von Steckdose statt Fossil, vom Plus durch neue Technologie. Warum hört man so wenig vom Abwarten, vom Teilen, vom Verzichten?






Das weckt bei den Aktionären (und letztlich haben wir alle in irgendeiner Form Aktien im System drinne) nun mal keine Kursphantasie.

Wollen Sie hören, dass Sie nächstes Jahr den Gürtel enger schnallen müssen? Dann sind Sie eine ziemliche Ausnahme.


Ich fände es, ehrlich gesagt, beruhigender als Kursphantasien. Ist die Frage, womit man sich (als Individuum, aber eben auch als Gesellschaft) lieber betrügt: mit der Ansage, es gibt kein Ende des Wachstums (O RLY?), oder: jeder kann was bewirken (All animals are equal). Ich gebe zu, man müßte an den Details feilen. Aber die Wachstumsgeschichte ist doch nicht mehr ernsthaft zu verkaufen, oder?


Aber die Wachstumsgeschichte ist doch nicht mehr ernsthaft zu verkaufen, oder?

Dem Endverbraucher (in Zeiten von Null- und Negativzinsen) vielleicht nicht, aber jedes ernstzunehmende Unternehmen muss sich und den stakeholdern einreden, dass da noch mehr geht. Je größer und je fremdfinanzierter der Laden, desto höher auch der Druck, weiter zu wachsen. Natürlich haben die Entscheidungsträger alle schon mal vom Club of Rome etc. gehört, aber man geht davon aus, dass man wenn man es richtig anstellt, auch bei schrumpfendem Gesamtmarkt noch zulegen kann. Das Paradigma der "economies of scale" ist ungebrochen.


Genau das erstaunt mich: den Schuß nicht gehört? (Beim Nachlesen der Fachbegriffe wieder mal tiefer Widerwille gegen diesen formalisierten Umgang mit Prozessen, die Menschen und ihre Schicksale betreffen.) Immerhin, der Endverbraucher ist wesentlich, damit der Laden läuft. Das kann ein Anfang sein.


Natürlich hat man den Schuss gehört. Aber das Nachdenken über die Endlichkeit von Ressourcen und Grenzen des Wachstums geht oftmals mehr in die Richtung, wie man die schwieriger werdenden Rahmenbedingungen (gesättigte Märkte, steigende Rohstoffpreise etc.) mit mehr Effizienz und Schrumpfung der Ausgaben zumindest kurzfristig kompensieren kann, um die eigenen Wachstumsziele trotz allem irgendwie zu erreichen.

Das ist ja gerade das Fatale, dass das Wissen um die Endlichkeit nicht die edleren Wesenszüge des Verzichts und des Teilens fördert, sondern oftmals ganz im Gegenteil zu vermehrten Anstrengungen führt, vor dem irgendwann unvermeidlichen Crash noch rauszuholen was rauszuholen ist.


Borniertheit, Idiotie. Kommt vor. Aber es muß doch auffallen, daß das langfristig teurer wird als alles, was man schnell noch an Gewinnen machen kann. Die Geschichte vom Menschen als vernunftbegabtem Wesen scheint mir auch immer mehr ein Märchen.


Man kann das natürlich idiotisch finden, aber es folgt einer in sich stringenten Logik. Es hat ja Gründe, dass bei börsennotierten Unternehmen die Jahresabschlüsse gar nicht mehr so wichtig sind, weil die Quartalszahlen längst das Maß der Dinge sind. Vielleicht erleben wir noch Monatszahlen oder alles in realtime. Es wird ja selbst in ersten Supermärkten schon mit elektronischen Preisanzeigen experimentiert, die stündlich nachfrageorientiert angepasst werden können, dann werden selbst banalste Alltagseinkäufe zu einem spekulativen Termingeschäft.

Dass alles teurer wird, stimmt ja so pauschal nicht (allenfalls aus Endverbrauchersicht). Für die Unternehmen sind die sogenannten Transaktionskosten in den letzten 20 Jahren enorm gefallen, und Futurologen wie Jeremy Rifkin sehen diese Kosten schon gegen Null gehen.

Alles redet von peak oil, aber zuletzt war der Ölpreis so niedrig wie lange nicht, die linearen Modelle aus den 70ern bilden das alles nicht ab, danach hätte das System schon längst kollabiert sein müssen. Wenn man also überhaupt nicht abschätzen kann, wann genau das Licht ausgeht, zahlt sich einstweilen das "weiter wie gehabt" mit der kurzfristigen Gewinnmitnahme eher aus als die Wette auf eine vage düstere Zukunft irgendwann.

So schwer zu verstehen ist das nicht, wenn man sich ein paar der waltenden Gesetzmäßigkeiten mal bewusster macht (was ja nicht heißt, dass man das alles kritiklos hinnehmen muss).


Und genau das meine ich mit idiotisch [im antiken Sinne]: gefangen im zugrundegelegten Modell. Unpassende Informationen werden ausgeblendet. Sehr menschlich, geht aber selten lange gut. Spannend und betrachtenswert finde ich die zugrundeliegenden Geschichten. Die Geschichte, daß wir als Gesellschaft es besser und besser haben werden, verliert langsam an Fahrt; dafür scheint eine andere Geschichte in den Vordergrund zu treten: andere/Fremde/alle wollen uns was nehmen, jeder kämpft für sich. Auf Mikroebene ist das ein ziemlicher Narzißmus, der für allgemeines Mißtrauen sorgt. Es fehlt noch an großen Geschichten, die das Wohl des Einzelnen mit dem Wohl der Allgemeinheit verknüpfen.


Diese Erzählung gab es u.a. in einer christlichen, einer sozialistischen und in einer kapitalistischen Variante, und wir haben gelernt, alle drei nur noch mit großer Vorsicht zu genießen.


Ich würde Religion und Wirtschaft nicht in einen Topf werfen wollen. Während Wirtschaftssysteme auf Wohlstand setzen, geht es bei (allen?) Religionen um das Seelenheil; müßte man inzwischen erklären. Gesundheit und Selbstoptimierung wären eher aktuell, reichen aber auch nicht über den Tellerrand.


Das lässt sich nicht immer so scharf trennen. Die protestantische Arbeitsethik, die dem kapitalistischen System nicht zu knappp eingewebt ist, beruht auch stark auf einer durchaus diesseitig-materialistischen Komponente. Nach dem Motto: Rackere ordentlich und halte Dich an die Gebote, dann wird es Dir gut gehen.

Im Kommunismus ist die Verheißung der klassenlosen Gesellschaft zwar (formal gesehen) ein diesseitiges Versprechen, aber nichts destotrotz ein protoreligiöses Heilsversprechen, gewissermaßen eine Eschatologie in light-Version.

Man könnte auch noch einen Schritt weiter gehen und die Wirtschaft, in der nichts anderes zählt als "the almighty buck", als eine Art Götzendienst auffassen. Vielleicht würden Ethnologen von anderen Planeten, die uns erforschen, tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass wir Geld anbeten. ;-)


Rackere ordentlich und halte Dich an die Gebote, dann wird es Dir gut gehen. Beziehungsweise: wenn's dir hier auf Erden gut geht, dann ist das ein klares Zeichen für den Schatz im Jenseits, den du quasi parallel aufhäufst. Hmja. Geld-Kult? Ha, das wäre eine gute Erklärung.


Ich habe mich das auch schon gefragt, und die Antworten, die ich mir selbst gebe, gefallen mir nicht. Im Moment habe ich wenig Hoffnung für diese Welt.


Dazu hat der Herr Yoda hier auf Antville etwas Hübsches gepostet.


Verzichten? Worauf? Mit all den Gütern, die bis jetzt, Montag, den 7.11.2016 und vorher produziert worden sind, in Gebrauch sind, gerade fertiggestellt werden, käme man doch -- ein paar Reparaturen vorausgesetzt -- Jahrzehnte aus!


Da muß ich gleich mal an The Road denken. Ernsthaft, wer sollte ein Innehalten verordnen oder gar durchsetzen? Was müßte passieren?


Was passieren müßte? Nichts! Es reicht, daß immer mehr Menschen "nein" sagen und Konsumverzicht üben.


Naja, aber global betrachtet werden wir immer mehr; da wird es nicht reichen, auf freiwilligen Verzicht zu warten. (Wobei wir Westler natürlich derart prassen, daß es zumindest einen Unterschied machen dürfte.)


Massen wollen wachsen, der Verzicht läuft ihnen zuwider. Vielleicht ist das so ein Instinkt in uns der auch zum endlosen Konsum verführt?

'Der Angriff von innen appelliert an individuelle Gelüste. Er wird von der Masse als Bestechung empfunden, als 'unmoralisch', da er ihrer klaren und sauberen Grundgesinnung entgegenläuft. Jeder, der zu einer solchen Masse gehört, trägt einen kleinen Verräter in sich, der essen, trinken, lieben und seine Ruhe haben will.' Elias Canetti

Vielleicht wäre es leichter, wenn man sich dran gewöhnen könnte, gehasst und verachtet zu werden. Aber als soziales Wesen geht das ja kaum, ach, alles viel zu komplex... muss weiter lesen.