Meine Großeltern, samt und sonders um das Jahr 1900 geboren, hatten den ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und Beginn wie Ende des tausendjährigen Reichs erlebt. Als ich anfing, das interessant zu finden, waren sie alle schon tot.
Meine Großmutter väterlicherseits war stolz auf ihre Behmische Knedln. Die bekamen wir, wenn wir den jährlichen Besuch absolvierten, allemann im Käfer über die Betonpisten des Arbeiter- und Bauernstaates. Oma, weißgelockt und kittelschürzig, kannte ich nur im Gehäuse ihrer Küche; für alles vor der Tür war die Familie zuständig.
Als ich lesen konnte, inspizierte ich die Bücherregale. Viel war da nicht, und was es gab, war zumeist Theologisches. Oma, erfuhr ich, war evangelisch geworden, als sie heiratete. Diese Entscheidung hatte sie offenbar nicht auf die leichte Schulter genommen.
Noch später belauschte ich die Erwachsenengespräche nach Tisch. Daß Mein Kampf in den Kachelofen gewandert sei, sobald mein Vater die Schule absolviert hatte, tat ich zunächst als zeitübliche Gesichtswahrungsfolklore ab (wir sind ja keine Nazis gewesen).
Über meinen Vater erfuhr ich, daß er die Abiturprüfung abgelegt hatte als einer von dreien – der Rest des Jahrgangs war vorzeitig mit einem Notabitur in den Krieg gezogen. Ich wußte auch, daß er sich gedrückt hatte, so lang es ging; als es dann nicht mehr ging, hatte er hinter der Westfront Kerzen gegossen und war bald in Gefangenschaft geraten. Auf meine Kinderfragen antwortete er entnervt: Sonst hätte ich kämpfen müssen!
Von dem Wenigen, was ich weiß, reimte ich mir manches erst als Erwachsene zusammen. Der eigenartige Vorname des Urgroßvaters, die Liebe der Großmutter zu ihrer Küche und ihre Furcht vor dem Draußen, das Hochdeutschreden, oh, und die Leute auf ihrer Beerdigung, Verwandte, die ich nicht verstand: meine Großmutter war aus dem Osten gewesen, ihre Herkunft ein Makel; so sehr, daß man sie sogar mir verschwiegen hat.
Es gab nicht viel, was mich mit meinem Vater verband, aber dafür, daß er sich einem System, das Menschen unterschiedlichen Wert zumaß, nach Kräften verweigerte, dafür achte ich ihn hoch.
Menschen in Klassen einzuteilen ist in vielen Fällen der Beginn allen Übels.
Dieser letzte Satz fesselt mich.