Ist Wanderlust ausstellbar? Wie soll man dieses frohe Jucken in den Gelenken zeigen, das innerliche Hüpfen angesichts einer roten Linie durch viel Grün auf der Karte, wie das Ja zum Rucksack und zum unbequemen Schlafplatz, wie die Freude am Verschwinden?

Friedrich und Carus haben einen Teil davon gemalt in Rückansichten kleiner Gestalten in großer Natur. Ein bißchen Kitsch ist es schon; aber dieser hier stimmt halt auch. Junge Leute fotografieren mit ihren Telefonen die Gemälde samt Goldrahmen.

Ich bleibe lange in den hohen Räumen. Es sind viele Besucher hier. Das Parkett knistert knochentrocken. Ein Bild zeigt ein Bergpanorama mit Jägern (überhaupt werden hier viele Jäger als Wanderer verkauft); am Bergsee trinkt ein Hund mit rosa Zunge. Auf einem anderen betrachtet den halbnackt am Weg Hingesunkenen sinnend ein Geier: "Sterbender Wanderer".

Einiges an Bildbeschilderung schien mir entbehrlich: Links erhebt sich schroff ein Bergmassiv, vor dem die Wanderer ganz verloren aussehen, nun ja. Dafür hätte ich gern mehr Skizzenbücher gesehen. Kleidung und Schuhwerk sind zumeist idealisiert dargestellt oder generisch; fündig werde ich bei Kramskoj.

 

Auf dem Rückweg durch die Dauerausstellung komme ich an einem Porträt vorbei. Es heißt "Ave, Caesar, morituri te salutant" und zeigt Kopf und Brust einer ernst dreinblickenden großen Dogge, der quer über der Nase eine Kette Würste hängt.





Vierunddreißig Grad im Schatten, dreißig im Haus; Kleidung unaussprechlich und als Tagesration Wassermelone, eine, ganz.





Die sind aber früh dran, sage ich zu M, als wir bergauf vor der Hitze Richtung Wald stapfen; aber Sonne hatten sie schon fast genug. Hoch sitzen sie im verschlissenen Dornengezweig, das Neueste, Glänzendste in der Hecke, und ziehen den Blick auf sich.

Trotz brennender Sonne bleiben wir stehen. Einen Schritt in die grasige Böschung, strecken, denn die oberen sind am besten, und dann vorsichtig die pflücken, die sich schon pflücken lassen und noch nicht zerplatzen. Zur Hälfte sind sie sonnenwarm. Jede Beere eine Überraschung auf der Zunge: süß, sauer, nach Leder, nach früher, nach mehr. Mit dunkelroten Lippen und zerkratzten Armen raken wir immer wagemutiger; es ist schwer, aufzuhören. Besonders gelungene Exemplare tauschen wir aus.

Auf dem Rückweg ist es dann zu heiß zum Stehenbleiben. Die Ebene liegt flimmernd vor uns. Von hier oben sehen noch die Industrieanlagen schön aus; nur bei Logistikzentren ist wohl wirklich nichts zu machen.





Die Schatten haben jeden Kern von Kühle verloren; dafür tragen Brombeeren und Mirabellen vom Wegrand einen Kern von Säure, der ihre verfrühte Süße herrlich macht.

Ein Pferd scharrt und scharrt auf der trockenen Weide, bald sieht es aus, als steige Rauch von der Stelle auf, in den das Pferd den Kopf senkt; es scharrt weiter, die Wolke wird größer, und dann kippt das ganze große Tier zur Seite und wälzt sich, nach dem Blau da oben und der Sonne auskeilend, genüßlich im Staub.

In der Stadt haben die Platanen ihre Rinde abgeworfen; die liegt jetzt von Passantensohlen fein zermahlen auf den Gehsteigen. Ein kleiner Junge kommt mir an der Hand seines Großvaters entgegen, dem er voller Selbstvertrauen erklärt: ... und ab jetzt mache ich immer alles richtig!

Die Sonne drückt mich mit heißer Handfläche von Straßen und Plätzen in den nächsten Schatten. Nach Sonnenuntergang aber würde ich den Sommer am liebsten auf der bloßen Haut tragen; die Nächte sind ganz genau so warm wie ich.

Dieser Sommer rinnt mir nur so durch die Finger, Bilder und Erinnerungen verdunsten schneller, als ich sie notieren kann –





L ist das einzige mir bekannte Kind, das gern in Museen geht. Sie hält die Eintrittskarte mit so leuchtendem Blick zum Abreißen hin, daß die Frau am Eingang ihr länger hinterherschaut.

L liebt die Geschichten zu den Exponaten, nur die grausamen nicht. Für die erfindet sie Happy-Ends; Zehnjährige haben ja noch für alles eine Lösung. Als sie sich vor einem Bild auf den Boden setzt und Fragen stellt – ich setze mich der Einfachheit halber daneben –, kommt die Aufsicht im Minutentakt vorbei; jedes Mal eine andere.

Stunden später sind wir durch. Sie fragt: Schon?

So gern hätte sie die Sonderausstellung von den Plakaten gesehen, aber die, muß ihr der Mann an der Kasse sagen, ist schon geschlossen. Aberaber, fügt er hinzu, er hat hier eine Postkarte, die schenkt er ihr, und wenn sie in ein paar Wochen noch mal kommt, gibt es ganz neue Herrlichkeiten zu sehen ...

L hat die Fähigkeit, vollkommen hingerissen zu sein von Dingen, bei denen man das nicht erwartet. Ein Staun-Wunderkind.