Blaue Luft, und die Straßenplatanen riskieren Grün. Man könnte einen Hocker auf den Balkon. Grünzeug vielleicht, das auch mal blüht. Drunten flattern Mäntel, Sonnenbrillen rutschen aus Frisuren. Irgendwer hat orientalische Musik aufgedreht, Leute auf der Straße klatschen und juchzen. Eine Amsel überzieht die Stunde mit Gesang wie Zuckerguß, die gute Sorte Zuckerguß mit bißchen Salz drin.

Ich hoffe bloß, ich habe ausreichend Kaffee für drei Tage.





Es beginnt in der Frühe mit Schwänen an der Bahnstrecke, ein ganzes Feld voll: riesig und weiß grasen sie, die Köpfe an den schlangenhaften Hälsen ins Grün getaucht. Zwischen ihnen steht ein Reiher, leuchtend grau.

Die Frau schräg gegenüber, die man gern zeichnen würde, bekommt von der Vogelwelt nichts mit. Sie hat die Augen geschlossen und schmiegt sich an ihren Freund. Sie trägt ein schwanenweißes Sommer-T-Shirt, das sich mit ihrem Atem spannt; gemustert, merke ich erst etwas später, ist es mit lauter schwarzen Kußmundabdrücken, jaja; Beleg dafür, daß einen schönen Menschen nichts entstellt.

Mit M, später, auf einem felsigen Platz mit Flußblick, spreche ich über gescheiterte Existenzen. Daß eine Postbotin erst eine ist, wenn sie einen Doktortitel hat; sonst ist sie halt Postbotin. Was es braucht, um zu scheitern: Fallhöhe vielleicht? Und wenn die promovierte Postbotin nun sehr zufrieden wäre mit dem, was sie macht?

Und daß Feministinnen Sturm liefen gegen eine Werbung, in der es über eine bestimmte Sorte Würstchen hieße, sie stünden straff und gerade (o.s.ä.). Nachrichtoide.

Unterdes, vollkommen unbeeindruckt von derlei Menschenwerk und -plagen, Frühling.





Man hat den Geistlichen, bekannt und sehr beliebt, mitten in der Stadt und für alle zugänglich aufgebahrt; neben der Kirchentür hängt ein laminierter Zettel, der zu angemessenem Verhalten mahnt. Keine Selfies, steht darauf, und da müssen T und ich höchst unangemessen kichern.

Das kommt davon, wenn einen die Geschichten anfallen. Im Frühling sprießen sie ja wie die Blumenstände, die Oxfam-Spendensammler und die Straßenmusiker.

Das sind diese Parties, sagt H, als er das wildmähnige Ding vor der Parfümerie zur Gitarre schmettern hört, diese Parties, wo sie extra die Musik ausmachen und sagen, boah, du müßtest auftreten, während die andere Hälfte der Gäste in der Küche bleibt, bis der Krach wieder vorbei ist, und so gibt es nie, nie ein Korrektiv.





Am Licht sieht man's nicht, aber an den Blumenständen. Die sind umschwärmt von Leuten in zu dicken Jacken, zaudernd noch, aber die meisten von ihnen werden sich ein Stück Frühling kaufen.

Ein Mädchen von vielleicht drei Jahren rennt im Gegenlicht, selbstvergessen gickelnd, oben auf seiner rosa Mütze sitzt ein ... winziger Phallus? Nein, das soll ein Einhornhörnchen zwischen Einhornöhrchen sein.

Zwei Straßen weiter steht ein Mann von der Straßenreinigung vor einer Traube rosenroter Luftballons in Form von Herzen, Ausreißer einer Hochzeitsgesellschaft vielleicht, und kratzt sich den Schädel; dann stampft er entschlossen einen nach dem anderen Ballon mit einem Knall kaputt, damit das Ganze in den Müll paßt.

Heute bin ich leicht zu amüsieren.





Der Himmel scheint an den Dachfirsten aufzuplatzen; innerhalb einer Stunde ist die Straße dick verschneit, nach einer weiteren steht der Matsch knöcheltief. Mittagspause im Café, sind T. und ich uns einig. Warm und trocken und gemütlich. Er hat mir sein neues Buch mitgebracht, frisch aus dem Verlag. Ich bekomme es mit Widmung.

Als es allmählich voll wird, wollen wir aufbrechen, aber das Zahlen ist heute schwierig: T. ist 2,50 schuldig, ich hatte Kuchen, daher 5,50. T. hat drei klein. Ich habe nur einen Zehner. Wenn wir jetzt neun Euro, nicht getrennt zahlen und nicht auf das Wechselgeld warten wollen ... Wenn du mir jetzt einen gibst, und ich lege elf ... äh, innerhalb kürzester Zeit sind wir komplett verwirrt, ein Hütchenspiel, das wir mit uns selbst spielen als Trickster, Betrogene und Publikum zugleich. Wir diskutieren wortreich, schieben das Geld auf der Tischplatte hin und her, von so geht es doch zu nein, doch nicht dauert es immer ein paar Momente, laß uns einfach die Zeche prellen, irgendwann löst sich sowieso alles in Gelächter auf; da merke ich, daß die junge Frau am Nachbartisch uns aufrichtig entsetzt anstarrt.

Sehen Sie hier, meine Dame, hätte ich ihr sagen können, den Grund, warum es Steuerberater gibt.