Ich dachte, ich könnte ganz gut auch ohne leben. Nun warte ich aber seit Wochen auf blauen Himmel, darauf, daß die Fassaden gegenüber aufstrahlen; dann schlüpfe ich in den Mantel. In der letzten Zeit nutzt das nichts: die Wolkenlücken zu schmal, die Straßenschluchten zu tief.

Im Wald, beim zugigen Imbiß auf einem Stapel Holz, bestand mein Hirn darauf, in den Holzfällerzeichen auf den Stämmen in Neon-Orange Lichtflecken zu sehen, zusammen mit einigen verblichenen Buchenblättern am Boden und einem faulenden Ast. Jedes Mal, wenn ich mit den Gedanken anderswohin schweifte, hüpfte mir kurz das Herz: Sonne! – Ach nee, Markierungsfarbe.

Und das Beste an der Wanderung? Ich habe, fast eine halbe Stunde lang, schließlich doch einen Schatten geworfen.





Ärgerliche Tage in der ärgerlichen Stadt; aber man kann sich's nicht aussuchen. Ein Schönes gab es dann doch für mich: die Fenster zwischen den U-Bahn-Waggons, quadratisch mit gerundeten Ecken, und wie sie sich gegeneinander verschieben in den Kurven; meins wackelt immer eine Winzigkeit früher als das dahinter. Fern hinter zweifach Glas das Innere des nächsten Wagens, wie ein Aquarium oder wie die Szene eines Films. Die Akteure führen Pappbecher zum Mund, unterhalten sich ohne Ton und sind ganz mit sich und ihren Telefonen beschäftigt; bloß ein Kleinkind am unteren Rand der Scheibe guckt zurück.

Auf der Heimfahrt: draußen Schneewälder, innerlich Aufatmen.

Im letzten Regionalzug, da ist die Landschaft schon wieder matschig wie gewohnt, stempelt die Kontrolleurin meine Rückfahrkarte ab und sagt: Willkommen zuhause!





Gegen Abend Sängerwettstreit zweier Amseln in der Stadt, über den Lärm der Straße hinweg.





Von einer Sekunde auf die andere bin ich wach: Das Geräusch war der Schlüssel, das war das Schloß, das war, wie einer die Tür aufmacht und in die Wohnung tritt. Jetzt: Stille. H. ist schon aus dem Bett gesprungen und stürmt auf den Flur. Was machen Sie hier, höre ich ihn donnern, wie kommen Sie hier rein? Ausflüchte, leiser, eine Männerstimme: in der Wohnung geirrt, und Beschwichtigungen: alles gut. Rückzug, Türenklapp.

Der stand hier, im Dunkeln, an der Tür! H. dreht eine Runde durchs Haus und kommt gleich wieder. Nein, niemand mehr zu finden. Dann läßt er den Schlüssel innen stecken. Es ist halb fünf.

Um kurz nach acht, noch vorm Kaffee, hat H. ein neues Schloß besorgt und eingebaut. Wir telefonieren herum. Der Hausmeister: war's nicht. Der Hüter des Ersatzschlüssels: hat ihn noch. Die Polizei: sagt, da kann man wohl nix weiter tun. Es ist elf Uhr.

Heller Tag, als es an der Tür klingelt. Draußen steht ein junger Mann, den wir noch nie gesehen haben. Äh, ja, er wolle sich wegen heute nacht entschuldigen ... Er habe beim Nachbarn eins drüber übernachten wollen, war morgens leicht angesäuselt von einer Party zurückgekommen, habe aufgeschlossen und sich erst mal nicht mehr ausgekannt. Und während sein Hirn noch nach einer Erklärung für die neue Flureinrichtung kramte, kam plötzlich ein Fremder auf ihn zugeschossen ... Den Rest der Geschichte kennen wir.

Ich bin erleichtert, heißt das doch, daß nicht irgendwelche Leute mit meinem Schlüssel durch die Stadt spazieren. Andererseits scheint es, als hätten wir im Haus ein Einheitsschloß ...

Na, jetzt nicht mehr. Zum neuen Jahr also ein schwererer Schlüsselbund. Und der neue Schlüssel läßt sich zweimal umdrehen, sogar.





Schnee macht schön: ist das wirklich dieses struppige Gehölz am Stadtrand? Die sterilen Vorgärten sind weich zugedeckt, alle alten Obstbäume mit Rheumadecken versorgt. Häuser kuscheln sich im Bett aus Feldern zusammen, jedes Dach eine Handvoll Himmel, die Ferne wie Rauch. Mein Buch bleibt zu auf dieser Zugfahrt: so erfreulich habe ich die alte Heimat schon lange nicht mehr gesehen.

Es knackt unter meinen Schritten und knistert auf dem Regenschirm; sonst ist das Städtchen so still, wie das nur der erste Schnee des Jahres hinbekommt. Auf Mäuerchen, in Einfahrten stehen weiße Gestalten, manche gerade eine Spanne groß, manche ausgewachsene Schneemänner samt Rübennase.

Am schönsten ist die Aussicht übers Land aus dem achten Stock, so was haben hier nur Krankenhäuser. Trotzdem mag ich da nicht hin. Auch nicht, ach was: schon gar nicht als Besucherin.