Lebkuchenland, natürlich; die ganze Stadt wirkt wie gebacken. In alten Modeln, doch der Stein scheint neu; zumindest frisch gekärchert. In sich selbst konserviert, steckt die Altstadt in einem Festungsmauerring. Hier und da schauen Giebel drüber weg, hier und da die Stirnen neuer Bauten. Schwer zu entscheiden, ob das idyllisch ist oder bedrückend. Ruhiger jedenfalls – vor der Maueranlage rauscht vielspuriger Verkehr.
Drinnen ist es wirr, Straßen, Gassen, Gäßchen, Plätze – Mittelalter rangelt mit StVO. Ich suche die Lebküchnerei Düll und werde mehrfach im Kreis geschickt; kein Wunder, hier grenzt der Ludwigs- an den Jakobs- an den Josephsplatz. Irgendwann treffe ich einen, der nicht bloß hier wohnt, sondern auch einen satellitengespeisten Stadtplan in der Tasche hat.
Zurück in meiner Stadt, beim Verlassen des Bahnhofsgeländes, gerate ich in einen Gegenstrom rennender Männer in farbigen Schals: direkt in meinem Weg hat sich soeben ein Fußballfanbus entleert. Dann geht es nicht mehr weiter: eine Kette von Gepanzerten versperrt den Durchgang; einer brüllt: Zurück! Durchs Bahnhofsgebäude gehen!
Ich weise auf mein Gepäck, nein, ich bin kein Fußballfan, ich möchte zur Tram da drüben, aber ich werde angebrüllt: Zurück! Ich bleibe stehen, wie noch einige andere Reisende. Die Tram verpassen und mich anschreien lassen? Als der Fanbus wegfährt, entweichen wir durch die entstandene Lücke. Lass sie laufen, höre ich es hinter mir.
Die Lebkuchen, später, schmecken ausgezeichnet.
Paukenschlag, volles Orchester, Chor: ... statu variabilis ... Das Kind sitzt auf der Stuhlkante und späht in den Orchestergraben. So viele Instrumente! Liebesgeplänkel interessiert es nicht so; bei den Tanzstücken wippt es mit. Nachher wird es ganz erledigt sein von dem Lärm und der Aufregung und dem Applaus, aber für einen bewundernden Blick in die Kuppel des Foyers wird's noch reichen.
Vorm Theater wartet dann der Tag in Winterkleidung.
Der Himmel ist glasklar, von Flugzeugen bekritzelt, und über seine Fläche schiebt sich eine Kranichkette; ihr helles Getröt mischt sich mit dem Läuten der Kirchenglocken. Eine Seite des Vogel-Vs löst sich auf, gerät in Verwirrung, die Tiere finden sich zu kleineren Formationen und lassen sich weiter ziehen von den Fernen. Wir drunten in der Stadt aber müssen schlucken, wie wenig wir Flügel haben.
Nachtrag: Großen Spaß macht das hier – 70er-Jahre-Carmina, nach Orffs Vorstellungen umgesetzt. (Bildqualität auf der DVD natürlich besser.)
Friede, Freude, Eierschecke! Es wurden nicht Kosten noch Mühen gescheut, und nun wälzt sich das Volk durch die Innenstadt, drängt sich in Buden, läßt sich belustigen und informieren, Kameras, Würstchen und Bierbecher stets im Anschlag. Hier bißchen Musik, da bißchen Technik, Klosterbrot, Handwerksbier und Beta-Prominenz – man zeigt, was man hat. Es herrscht friedliche Stimmung. Die Menge schiebt sich von Bühne zu Bühne mit Kind und Kegel, und alle paar Sekunden macht sich ein Ballon los und schwebt davon, anderswo einen Vogel ersticken.
Zur Sicherheit ist die Stadt für den Alltag gesperrt. Betonklötze und quergestellte Einsatzfahrzeuge verschließen die Verkehrsadern, Kameras überwachen, an manchen Zelten wird gefilzt. Das stört nicht sehr, denn selbst die Polizei scheint guter Laune.
Am schlimmsten, sagen die Leute, ist, daß man nirgends mit dem Auto hinkommt. Aber, doch, ein schönes Fest, so insgesamt betrachtet.
Versuch, im Fieberschädel aufzuräumen. Die Träume sind längst versickert, natürlich, aber da waren noch Sachen zu tun.
Wiederentflammte Begeisterung: die deutsche Romantik; ihr abseitigerer Zweig. Wunsch, mit Licht und Wolldecken ausgestattet in einer Bibliothek eingeschlossen zu werden; zugleich (theoretische) Verzweiflung, weil ich mir ja doch nicht alles merken könnte.
Und, ach, der dritte Teil vom Kater Murr!
M., dessen Karte mit Besserung mich so gefreut hat, vermisse ich retrograd als Kindheitsfreund.
Immer fehlt eine Vokabel, ein besseres Wort; nie ist eine Decke lang genug, und Tee: erst zu heiß, dann kalt.
Merke: Wenn mir was fehlt, bleibe man mir tunlichst fern.
Reisender, willst du nach Süden, so bringt dich die Bahn bis Rastatt. In der Gegend hat sie leider ihre Gleise verloren; drum herrscht, bis Baden-Baden, Schienenersatzverkehr.
Eine Stunde mehr, Reisender, plane ein. Der Zug hält in Rastatt, wo er sonst nicht gehalten hätte; wie auch, er paßt ja kaum in dieses Bahnhöfchen. Und dann entfaltet sich das Schauspiel, wie zwei Ladungen Zugpassagiere am viel zu engen Bahnsteig gleichzeitig aus- und einsteigen wollen. Man drängt sich, man hat Streß, man fährt sich gegenseitig mit Rollkoffern über die Füße, aber irgendwie geht es: eine Woge Menschen ergießt sich auf den Bahnhofsvorplatz und strömt in Richtung der wartenden Busse.
Dort stehen Leute in Warnwesten und dirigieren: Busse in Lücken, Menschen mit Handgepäck in Reise-, Menschen mit Kinderwagen in Niederflurbusse. Es gibt viel zu regeln: Wir haben eine Haltestelle bekommen, sagt ein Warnwestenmann, die müssen wir dreifach belegen, sonst kommen wir nicht nach. Auch das klappt, wunderbarerweise: Alle Menschen mit allem Gepäck werden weitertransportiert.
In den Fahrzeugen ist es eng und gemütlich. Vor allem in den Kurven kommt man leicht ins Gespräch. Neinnein, nichts passiert. Waren Sie wandern? Schöne Gegend hier, doch. Festhalten ... Oh, schon da? Das ging schnell.
In Baden-Baden dann das umgekehrte Spiel: raus aus den Bussen; die besonders Eiligen sind sich selbst die Nächsten, die anderen grinsen einander zu in Komplizenschaft. Es wird kaum geschimpft; es gibt wenig Grund zu schimpfen. Rein in den Zug, und weiter geht's. Na, Reisender? War doch gar nicht so tragisch.
Ich habe das ja immer gern, wenn's außergewöhnlich zugeht.