Wieder eine Kaffeetafel, 2015: Jahr der Kaffeetafeln, Verwandte und Verschwägerte bis auf einen; den halte ich im Auge und bin in diesem Moment selbst nur noch halb Teil der Sippe.

Herrje.

Daß die eigene Familie immer die schlimmste ist, die Familien anderer aber alle ganz umgänglich.

Der Irrglaube, man könne anderen die Verrücktheiten der eigenen Sippe erklären. Erzählen ja, erklären nein.

Derweil ein Wetter eine wie eine Projektion der Watte in meinem Kopf. Den Blumen ist auch schon ganz welk zumut.





Er hat schlechte Nachrichten bekommen. Ich weiß nicht, ob ich ihn danach fragen soll; mein Impuls wäre, ihn gelegentlich in den Arm zu nehmen, aber das geht nicht. Dafür kennen wir uns offenbar noch ein paar Jahrzehnte zu wenig; und zumindest von mir würde ich sagen: nicht der Typ dafür.

Eigentlich jedes Mal versumpfen wir in finsteren Visionen und verfallen dann irgendwann in haltlose Albernheit, dafür haben wir beide ein Talent, und vielleicht ist genau das meine Aufgabe.

Helfen kann ich nicht. Aber er weiß wohl auch noch nicht einzuschätzen, was er mir zumuten kann. Nun. Abwarten. Und Kaffee trinken mit T.; irgendwann wird sich das schon alles auflösen, hoffe ich.





Dieses fremdartige kleine Land mit dem i-Überschuß, in dem sogar Industriegebiete niedlich aussehen. Freundliche Menschen hier, Fußgängerampeln mit Gelbphasen, immergrünes Gras unter immerblauem Himmel, und an den Rändern die Berge, daß man's nicht für möglich hält.

(Meine Unterkunft teile ich mit einem gewaltigen Flachbildschirm, einem Kronleuchter und einem Laubhaufen, der vorgibt, er sei ein Teppich, und zu dessen Zimmer ich die Tür geschlossen halte. Ich würde den Flachbildschirm gern verhängen, aber ich brauche die Bettdecke selbst. Nun tue ich so, als schaue er nicht, während ich in einem Bett, gletscherweiß und groß wie ein halber Kanton, herumrutsche auf der Suche nach einem Schlafplatz, über dem der Kronleuchter nicht hängt. Aber das Essen ist vorzüglich, Nervennahrung erster Güte.)

Eine Zugezogene sagt: die Natur hier ist toll. Bloß kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, alles sei, bis hinauf zu den Schneegipfeln, geplant und angelegt und werde regelmäßig geputzt und gewartet. Das heißt wohl, daß ich mir das Land dringend näher anschauen muß.





Es fallen die Feste: Vier Generationen füllen eine enge Gaststube, und die Vorstellung der Familie als Baum wird überdeutlich. Die langlebigen Zweige, die fruchtbaren, die abgestorbenen ... 95 wird die Matriarchin, frisch und präsent, nur das Augenlicht hat nachgelassen. Sie geht herum und begrüßt alle; manche erkennt sie erst an der Stimme. Sie ist, was sie immer war: mittendrin. Ihre Sachlichkeit und ihre Backkünste sind Legende. Erfüllt ist das Wort, das man lächelnd denkt, wenn man ihr begegnet. Und wünscht: daß es so bleibt, daß das Zerbrechliche des Lebens ausnahmsweise nicht zerbricht. Daß das Ende freundlich naht und nicht zaudert.

Auch der Schriftsteller feiert Geburtstag. Im Wohnzimmer seines Elternhauses stelle ich fest, daß ich hier schon einmal gewesen sein muß. Keiner fragt mich, woher ich ihn kenne; ich könnte es ohnehin nicht sagen. Ob er's noch weiß? Ich sehe ihn zwischen seinen Gästen, mir fast sämtlich unbekannt; mit jedem von ihnen verbinden ihn Geschichten. Das sind starke Fäden. Ein ganzes Haus, ein ganzer Garten voller guter Geschichten, was sollte ein Schriftsteller mehr wollen?

Das Sonnenjahr geht in sein letztes Viertel. Ich habe keine Blumen verschenkt.





Politiker zeigen Zähne: an den Pfosten in der Stadt sprießen die Wahlplakate.

An der Außenwand der Seniorenresidenz hat sich eine Schar bunter alter Damen eingefunden, mit Turnschuhen und Schweißbändern, und macht, die Walking-Stöcke an die Mauer gelehnt, synchrone Dehnübungen. Etwas abseits ein junger Mann, der die Szene verstohlen fotografiert. Auf der anderen Straßenseite ich, die ihn beim Fotografieren beobachtet, um darüber zu schreiben.

Derweil verfolgt mich ein Bild, das ich auch nur gelesen habe, zwei, drei Sätze, eine Gestalt aus Vergangenheit; und ich frage mich, kopfschüttelnd, wie wenig es braucht. Manche verlieben sich in Geschichten, bei mir reicht schon eine Assoziation.

Auf der Suche nach drei Zeilen, sie zu bebildern. Schwerer als man denkt. Alles auf Anfang; nehmen, was kommt. Weitersuchen.