So wenig Wege, daß ich bald keine Wurzeln mehr spüre. Nur Erinnerung.
Wie ich in einem weißdorngesäumten Waldstück einer Singdrossel nachpfiff, die fantastische Melodien sang, süß und voller Sprünge; wie ich dann versuchte, ihr was vorzupfeifen, aber sie verstummte plötzlich und flog davon. Vermutlich gehört mir jetzt ein Vogelrevier in den Hunsrückhöhen.
Das letzte Mal, als ich bei wolkenlosem Wetter nach oben schaute und alles voller winziger Schatten sah, leuchtend umrissen, ein einziges Flimmern und Wimmeln, das bei jeder Augenbewegung mitzuckte. Mouches volantes: wenn blauer Himmel einfach nicht mehr so erfreut wie früher mal.
Das Kind hat seine Lehrerin in Grammatik korrigiert. Nun mag das nötig gewesen sein, doch mangelte es hier an Zartgefühl und Diplomatie. Auf beiden Seiten: das Kind hat seither keine Freude mehr am Unterricht.
Ihm fehlt's an Ehrgeiz. Tut, was es muß, und übersteht den Rest; nach Schlafenszeit liest es sich in andere Welten.
Frühmorgens beobachte ich Krähen. Auf der Autobahn hacken sie auf dem Fahrbahnbelag herum. Wenn Fahrzeuge kommen, staksen sie zum Seitenstreifen und warten hinter der durchgezogenen weißen Linie auf die nächste größere Lücke. Sie leben von den Tieren, die das System nicht kapiert haben. In der Stadt gehört ihnen mitten im Berufsverkehr die Busspur; für den Bus flattern sie kurz in einen der Straßenbäume. Würde mich nicht wundern, wenn die Krähen den Fahrplan auswendig wüßten.
In Bahnhofsnähe trabt mir auf dem Gehsteig ein Hund entgegen, groß, zottig, sehr aufrecht. Zwischen den Zähnen trägt er am zusammengeknoteten Henkel eine Metzgertüte. Er bleibt stehen, dreht sich um, läuft ein paar Schritte zurück, wartet ein wenig und setzt dann seinen Weg fort. Ganz da hinten erkenne ich einen Menschen, das wird der Besitzer sein; aber der Mensch ist langsam, und dieser Hund hat was vor.
Ich zähle Mauersegler hinterm Haus: zwei. Screaming party im Duett. Oh, ich hoffe, es werden noch mehr.
Die Tür zur Schalterhalle der Bank ist viel zu schwer, und wie sich der fragile alte Herr dagegenstemmt, sieht aus wie eine Übung in Vergeblichkeit. Eine jüngere Frau kommt hinzu und drückt von hinten mit einer Hand gegen das Türblatt. Der alte Herr scheint kurz überrascht, wie leicht das plötzlich geht; dann dreht er sich um mit hochgezogenen Brauen und Ach-so-Blick. Die Frau lächelt freundlich und sagt das einzige, was jetzt die Welt wieder ins Lot bringen kann; sie lächelt und sagt: Dankeschön, bevor sie hinter ihm durch die Tür tritt.
Mitten in der Nacht weckt mich ein Glockenton, tief und tragend, und gleich fallen andere ein: die Kirchen der Stadt erheben ihre bronzenen Stimmen. Martinus, Beatrix und Lioba, Heiliggeist, Elisabeth, Albertus und Dreifaltigkeit, Alexander, Prosper und Franz Xaver, Judas Thaddäus, Willigis und Bonifaz, Magdalene, Quintin und immer wieder: Maria, Maria, Maria, und das Lumpenglöckchen läutet den Diskant dazu.
Jubel füllt die Dunkelheit, Christ ist erstanden, das Fasten vorbei; ich drehe mich um und schlafe zu freundlichen Träumen wieder ein.
Es ist schon hell, da werde ich von hohen Stimmen wach. Lachen, Rufe, Geschrei, dazwischen mahnende Worte Erwachsener: Leon! Mia! Amy-Sofie, laß die anderen auch! – Ostereiersuchen im Hinterhof.