Das Wetter ist durchwachsen, T. allerbester Laune. Wir gehen durch die Stadt. Auf einem Mäuerchen entdecke ich ein Paar fast neuer goldfarbener Sandaletten neben einem kleinen Ölbild einer Schneelandschaft, sorgfältig gerahmt. Und keine Kamera dabei, jammere ich. T. sagt etwas von Schönheit des Augenblicks und im Gedächtnis bewahren. Haha.

Später erzählt H. den kürzesten Roman, der ihm je begegnet sei: Im Rostocker Hafen liege ein Schiff, das heiße Unsinkbar II. (Das ist ohne Foto sogar besser.)

Von der Kneipe wandern wir durch die Nacht in die Stadt zurück, und mehrfach will ich mich verabschieden, aber jedes Mal kommt T. noch ein Stück mit. Ich kann ja hervorragend auf mich aufpassen, oder vielleicht macht mir auch alle Unbill höflich Platz auf meinen Wegen; jedenfalls bin ich derlei Ritterlichkeiten nicht gewöhnt. T., sage ich, du machst einen Umweg.

An der Ecke, an der er schließlich abbiegt, zeigt er mir einen einstigen Nachtclub: Da habe er mal in den frühen Morgenstunden einen menschlichen Umriß in Kreide auf dem Gehsteig gesehen ...

Nun ja. Ich habe es geschafft. Es ist ein Anfang.





Der Hof liegt im Herzen des Dorfes, die Bruchsteinumfriedung überrankt von Reben. Drinnen herrscht Hochbetrieb. Gerade ist ein Schwarm Gäste eingefallen, da haben alle Hände Arbeit. Auch die Chefin, die eigentlich Ruhe halten soll; vor nicht zwei Jahren lag sie aufs Sterben, ein wüster Unfall. Un des alls midde im Herbscht.

Der Senior macht den Weinverkauf. Er redet wie ein Buch, ach, wie ganze Gedichtbände, und eigentlich hat er wenig Zeit, denn ihn treiben seine Projekte um. Die Muse, die Wissenschaften. So viel zu tun.

Der alte Winzer ist noch immer wuchtig, mit breiten Schultern und schaufelstarken Händen. Was für eine Gestalt er gewesen sein muß, ehe der Schmerz ihn in die Schräge zwang, sieht man an seinem Sohn.

Beiseite erzählt er mir, wie sein Freund, selbst todkrank, ihn auf Station besuchte, und ihm werden die Augen naß.

Über der Naht am Schädel, die nicht heilen will, trägt er einen eleganten Strohhut, ein bißchen schief, damit man den Verband nicht sieht. Oh, er spricht viel vom Sterben, aber selbst das noch, daß man nur nicken kann und lachen muß. So einer wird den Tod beim Knochenarm nehmen und ihm ein gutes Glas Wein anbieten, vielleicht den, von dem wir heute eine Kiste einpacken; so einen, wie sie ihn hier machen seit Generationen und auch in Generationen noch, wenn's der Himmel will.





Jenseits der Leitplanke strohgelbes Land, und schwarz der Wald; hier und da Baumreihen wie Ketten im blonden Fell der Felder. Grün kaum noch. Dafür Blüten, weiß, gelb, blau und violett, unendlich viele winzige Sternensysteme, und es schäumt aus den Straßengräben die Böschungen hoch: verschenkt an die Insekten des Sommers.

Kilometer um Kilometer bedaure ich, daß dies eine Autofahrt ist und kein Weg zu Fuß.

Meine besten Wünsche sende ich D. und J., der Spiegelseele und dem pfeifenden Philosophen, die dem Tagesgeschehen einfach davonlaufen: von der Rheinquelle bis zum Bodensee. Auf dem Weg werden die wichtigen Dinge wichtig; die anderen sind natürlich nicht weg, aber sie halten nicht auf, bleiben auf Distanz. Es müßten, denke ich manchmal, mehr Menschen gehen, ohne Netz und doppelten Boden. Grenzerfahrung. Die kann das Herz weit machen.





In den Kräutern auf der Küchenfensterbank wohnt seit kurzem eine glänzende, kugelrunde Spinne. Ich habe ihr eine halbe Stunde lang zugeschaut, wie sie anmutig zwischen den Blättern herumkletterte und einige unordentliche Fäden spannte. Ein weiteres Exemplar lebt im Wohnzimmer-Fensterblatt; die sitzt reglos an einem Stengel und springt blitzartig vor, Jägerin, die sie ist. Und heute habe ich ein winzigkleines Tier an seinem eigenen Faden in die Strelitzie gehängt, die seit knapp fünfzehn Jahren in meinem Arbeitszimmer darbt und gerade ein neues Blatt entrollt.

Sollen sie ihre verstohlenen Reiche errichten; ich mag das, wenn sie sich in meinen Blumentöpfen willkommen fühlen.





Ich muß ein bißchen auf T. warten und frage ihn, was seine Entschuldigung sei.   Ich wollte dir das gute Gefühl geben, ausnahmsweise als erste da gewesen zu sein.   Hier, bitte schön, reiche ich T. das mitgebrachte Nußgebäck. Eine Schnecke. Wappentier der Zuspätkommer.   Ich dachte, mischt sich der Kaffeemann ein, wer zu spät kommt, wird zur Schnecke gemacht?   Wir regeln das subtiler, sage ich.   So, daß man sich auch noch dafür bedanken muß, ergänzt T., und zu mir: Danke, übrigens. Das werde ich dir nicht vergessen.

T. erzählt von seinen übellaunigen Großeltern, die es schafften, ihre Gäste aktiv zu deprimieren. Eine Weisheit seines Großvaters habe gehießen: Wenn der Bauer morgens lacht, gehörn ihm zwei gesunde Zähne gezogen.   Es liegt also in der Familie, fasse ich zusammen.   Tja, antwortet er. Was soll man machen.

Er habe, sagt T., ein Herz für öde Orte. Diese hier gefallen ihm gut.