Links und rechts, sagt der Schornsteinfeger, hänge eben auch davon ab, ob man die Sache von oben oder von unten betrachte.
Wie jede Woche fragt der freundliche Kaffeemann T. und mich, wie der Kaffee war. Nun ist es so: der Kaffee ist, naja, Kaffee. Nichts Besonderes. Wegen dieses Kaffees würden wir nicht kommen, aber es ist halt insgesamt nett, und anderen bekommen wir hier nicht, also ... Danke, gut, sagen wir. Verdammt, meint T. hinterher, ich wollte doch nicht mehr lügen.
Zwei steigen aus dem Bus. Er hat die Schultern hochgezogen, Hände in den Taschen, und schaut grimmig drein; sie schnieft, und ich höre sie, während sie sich die Wangen mit dem Handrücken wischt, sagen: Man kann's auch übertreiben mit der Ehrlichkeit. Abgrundtief traurig klingt das, nicht mehr zu kitten; aber wer weiß.
C. steht breitschultrig, breitbeinig am Feuer, ein Bier in der Hand, und kichert. Aus dem Freundeskreis ist C. der, der sich am leichtesten amüsieren läßt und über zweifelhafte Wortspiele, absurde Scherze und wirre Dialoge lachen kann, bis ihm die Tränen laufen. Das gefällt mir gut.
Müßte man "lebenstüchtig" illustrieren, täte man das mit einem Bild von C. Man sieht ihm förmlich an, daß er sein (ungeliebtes) Studium sofort abbrach, als er alles wußte, was er brauchte; daß er in der Woche genau so viele Stunden arbeitet, wie er muß; daß er mit minimalem Aufwand beste Ergebnisse zu erzielen versteht und jeden Erfolg genießt. Dabei ist er einer, dem man das von Herzen gönnt.
Es gibt eine lange, lange Fotoserie von ihm und seinem Bruder, als Kinder und Jugendliche, gemeinsam in Sportkleidung unterm Weihnachtsbaum. Jedes Jahr wieder. Sie waren beide sehr gut, bis ein Unfall C. zum Aufhören zwang. Er habe Glück gehabt, sagt er. Es hätte ihn leicht mehr kosten können als die Sportkarriere.
Obwohl er nie kommentiert, sei er ein treuer Leser meines Blogs. Doch, er lese alles, wirklich alles; er erwähnt einen Text, der ihm gefallen hat, beschwert sich über Blümchenbilder, und dann sagt er mir eine Freundlichkeit, die mich zutiefst verblüfft und freut, und natürlich blogge ich das nicht, das muß ich versprechen; das war besoffen.
C. führt eine langjährige, zufriedene Ehe. Die Friseurtermine seiner Frau, erzählt er, notiere er in seinem Terminkalender. Von selbst würde er ja nicht merken, wenn sie eine neue Frisur hat.
Dann schütten wir uns wieder aus vor Lachen.
– Wie heißt "nah am Wasser gebaut", nur mit Lachen? – "Amüsierbar". Oder "lachfertig", haha. Nee, das gibt es auf Deutsch einfach nicht.
Die Amseln teilen zur Zeit mein Viertel auf. Überall sitzen zerzauste Amselmänner auf Antennen und Dachfirsten und singen, was die Kehlen hergeben.
Die Vor-dem-Haus-Amsel weiß Balladen von Sommerwind, schwarzen Augen, süßem Schwingenschlag am Nestrand in der Dämmerung. Die Hinter-dem-Haus-Amsel kann Alarmanlage, manchmal auch Wecker oder Telefon.
Mein Schlafzimmer liegt nach hinten raus. Es geht mich ja eigentlich nichts an, aber ich hoffe inständig, die Vor-dem-Haus-Amsel gewinnt.
Das Dorf B., durch das ich zweidrei mal im Jahr wandere, hat mich diesmal länger aufgehalten. Nicht weniger als sieben Kräne richten an seinem nördlichen Rand eine neue Siedlung auf, Einfamilienhäuser freistehend oder in Reihe, mit prominenten Garagen, wie das heute so ist. Die Zufahrtsstraße, für die bereits ein Streifen Land planiert wurde, dürfte vierspurig werden.
Ein Stück zum Dorf hinaus, in den Feldern, eines dieser unabbildbaren Bilder: ein herrlich gewachsener Walnußbaum, noch kahl, als Schattenriß vorm lichten Aprilhimmel; hoch oben sitzt ein Raubvogel, während scheinbar im Gezweig, mondgroß und dunstig glänzend, ein Passagierflugzeug hängt, wendet, durchstartet. Eine halbe Minute später ist das Flugzeug weg, das Licht ganz anders, von Lärm überdeckt, nur der Vogel sitzt da noch.
Sonst wenig Liebe zu diesem Landstrich.
Als Herr F. mit Ende zwanzig nach Deutschland kam, kam er mit Frau, kleinen Kindern und den alten Eltern. Er wäre gern Ingenieur geworden, aber was daheim aus politischen Gründen nicht ging, das scheiterte hier vor allem an der Bürokratie. Nun betreiben F.s einen kleinen Laden in der Innenstadt.
Herr F. ist ein Bild von einem Mann. Stattlich. Seine Sprache ist stark, die Vorsicht seine Sache nicht. Man muß die Dinge beim Namen nennen können. Er hat ein großes Lachen und einen raschen Witz; Frauen gegenüber legt er eine Galanterie an den Tag, gegen die er sich anscheinend selbst kaum wehren kann.
Ist Ihre Frau heute nicht da, fragt eine Kundin. Heute habe ich mal eine andere, antwortet er vergnügt und deutet auf mich. Was? fragt die Kundin, eine Studentin, verwirrt. Abwechslung muß sein, zwinkert er, am liebsten jede Woche eine neue, und ich mache hinter ihm Zeichen: ein Witz! ein Witz!, aber sie schaut erst entsetzt, dann pikiert. Merken Sie nicht, wie Sie objektifiziert werden, wirft sie mir beim Hinausgehen zu.
Was hatte sie? War sie böse?, fragt Herr F., und ich versuche, ihm zu erklären; aber Herr F. versteht die neue Welt nicht mehr: Haben die Leute keine Probleme! fragt er, ehrlich entsetzt.
Ich weiß ja auch nicht.