Donnerstag, 5. April 2018

Als ich an die Uni kam, stand Professor E kurz vor der Pensionierung. Klein, grau, verkniffen; sein Skript las er ab, ohne auch nur in den Hörsaal zu blicken.

C und ich waren die letzten, deren Arbeit er betreuen wollte. Da hörten wir dann die Geschichten: Ein Choleriker sei er, launisch, ungerecht. Seine Mitarbeiter hätten immer schon am Knallen der Tür gehört, ob man ihm aus dem Weg gehen müsse, um nicht heruntergeputzt zu werden. Keine Gnade, kein Verständnis für Fehler oder Versagen. Nun ließ er sich nur noch zu den Pflichtterminen blicken, denn er lag im Krieg mit dem gesamten Institut.

C und ich arbeiteten vor uns hin und mieden persönliche Kontakte mit Professor E. Irgendwann mußte es aber sein. Wir bereiteten uns vor wie aufs Jüngste Gericht und schliefen schlecht. Die Stufen zu seinem Haus schlichen wir empor wie zum Richtblock. Er öffnete grimmig, wie gewohnt, führte uns durch eine stilreine 60er-Jahre-Wohnung und plazierte uns an einem Tisch. Kaffee? Milch, Zucker?

Ja, die Arbeit. Erfreulich, erfreulich. So aufwendig; die Auswertung besser simpel und methodisch wasserdicht. Das und das würde er vorschlagen.

Dann tischte er Erdbeerkuchen auf, mit Schlagsahne, und wir unterhielten uns. Er war nach dem Krieg in einer zerbombten Großstadt großgeworden; Hunger und alles, sagte er, aber für Kinder? Die ganze Welt ein Abenteuerspielplatz, und unvorstellbare Freiheiten.

Kneif mich mal, sagte C, nachdem wir das Haus verlassen hatten.

Den kriegerischen E bekamen wir auch zu sehen: Bei der Vorstellung unserer Arbeit wagte ein anderer Professor zu mäkeln. Der Rückzieher war eilig.

Zur offiziellen Verabschiedung von Professor E gab es Vorträge von den Legenden des Fachs, deren Namen ich von den Buchdeckeln der Standardwerke kannte. Sein Zimmer im Institut räumte er prompt und gründlich – er wollte nichts mehr mit dem Fachbereich zu tun haben, der zur Unkenntlichkeit reformiert worden war.

Ich besitze heute seine Schreibtischlampe, die ich über Umwege bekam.