M. erzählt von einer verhauenen Klausur, unter die ein Student geschrieben hatte, er habe nicht erwartet, hier Lernstoff aus der Mittelstufe produzieren zu müssen; die wurde am Lehrstuhl herumgereicht.

Arme Jugend von heute. Stundenpläne bis ins letzte Semester. Lernziellisten. Und bevor sie ein Buch anfassen, fragen sie, ob das prüfungsrelevant sei. Das gab es bei uns auch schon, sagt M. Ja, in den Nebenfächern vielleicht, aber uns Hauptfachstudenten wäre der Eindruck, daß wir's so genau eigentlich nicht wissen wollen und nur lernen, um die Prüfung zu bestehen, unendlich peinlich gewesen. Oder? Da frage ich den richtigen; M. lernt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wofür das gut sein sollte.

V., in der sechsten Klasse, ärgert sich: Man zeige ihnen jede Menge Stoff; aber zum Einüben sei gar keine Zeit, immer gehe es gleich weiter zum nächsten Thema. V. läßt sich deswegen daheim Übungsaufgaben geben (V.s Mutter unterrichtet Mathematik, der Opa Latein, da wird das noch eine Weile gehen); aber was wird aus Schülern, denen keiner antworten kann? Denen es reicht, wenn sie von der Sache mal gehört haben?

M., sage ich, du bist ein Dinosaurier. Ich weiß, knirscht er. Dann rezitiert er ein Gedicht, das ich längst wieder vergessen habe, und wir sprechen von erfreulicheren Dingen.






Also, ein kleines bißchen, mh, Pragmatik beim Lernen ist schon nicht verkehrt. Damit es einem nicht wie dem Mediziner in jenem alten Witz ergeht:

Ein Physiker, ein Soziologe und ein Madiziner sollen das Telephonbuch der Stadt Hamburg auswendig lernen. Der Physiker will wissen, wozu; der Soziologe rechnet aus, wie lange es dauert; und der Mediziner fragt: "Bis wann?"


Sicher. Die Faulheit hat schon viele gute Erfindungen auf dem Gewissen. Aber nur noch Pragmatik? Also, das klingt mir zu anwendungsbezogen und nach zu wenig, naja, Spielraum.

Außerdem hört sich o.a. Geschichte danach an, als habe man Wissen exakt zum geforderten Zeitpunkt parat, und dann vergißt man's wieder. Das ist sicher keine gute Strategie, wenn man seine Wissenschaft mal anwenden möchte.


Was dazu passen würde, dass Firmen heute von Bewerbern ein eher schmalspuriges Wissen, zugeschnitten auf ein bestimmtes Projekt, verlangen. (Allgemein-)Bildung ist eher hinderlich, der Gebildete könnte ja hinterfragen oder zweifeln.

Die Kundschaft übrigens hat Schwierigkeiten, in Briefen längere Absätze oder Auflistungen zu verstehen. Der Vorstand wendet sich per Videobotschaft an die Belegschaft, als hätte er noch keine E-Mail gesehen. Lesen und Schreiben werden zu altmodischen Kulturtechniken, die bald kein Mensch mehr braucht. Sic transit...


Hm, wenn so ein Arbeitsverhältnis ohnehin nur ein paar Jahre dauert, reicht vielleicht die schmale Bildung? (Wofür eine sehr schmale Bildung reicht, sehe ich hin und wieder, wenn ich Realschulabsolventen sehe, die nicht richtig lesen gelernt haben.) Aber es kann doch nicht alles schlechter werden?!


Wer sagte: 'Erziehung ist nicht das Befüllen eines Gefäßes sondern das Entfachen eines Feuers'? Das können auch weniger gebildete Menschen schaffen, aber Bildungsvererbung ist leider immer noch ein drängendes Thema... Liebe und Geduld, dazu Feinfühligkeit und Lebensfreude. Eine/r muss ja auch bei der Müllabfuhr arbeiten, das ist keine so schlechte Sache- für alle!


Ach, mir geht es gar nicht um das Erreichen von irgendwelchen "Bildungszielen". Viel mehr um die Freude am Wissen, Neugier, das Selber-machen-Wollen. Das verkümmert, wenn man nicht mit Zeit und Muße an Neues herandarf und auch das Werkzeug nicht mehr bekommt, mit dem man sich etwas erschließen kann. Alles muß Sinn und Zweck haben, Nur so, weil's geht, das ist nicht mehr drin.


Da stimme ich Ihnen zu. Habe letztens darüber nachgedacht, dass ich mit zwei Wimmelbüchern (Frühlings und Winterwimmelbuch, sehr wunderbar!) meine Neugier wieder entdeckt habe. Jetzt lese ich wieder und bilde mich erwachsener.

Die Zeit ist Mangelware geworden, schade. Obwohl es total unlogisch ist, irgendwie. Die grauen Herren, vielleicht also doch?

Auch dass die Vielfalt die über Jahrmillionen entstanden ist, immer mehr abnimmt, ist äußerst traurig. Einheitsbrei in einer Facette, ach, nur die Natur in all ihrer Ambivalenz aber Stimmigkeit macht mich froh. Und manche Leute :D


Haha, die Wimmelbücher! Ja, die sind toll. Am schönsten fand ich die Geschichte, daß das Winterwimmelbuch in einigen Staaten der USA auf dem Index steht, weil die Autorin für die Figürchen im Museum keine Bikinis malen wollte. Wo die Zeit wohl hin geht? Graue Herren sind allmählich die letzte plausible Erklärung für den Mangel ...


"M. erzählt von einer Klausur, unter die ein Student geschrieben hatte, er habe nicht erwartet, hier Lernstoff aus der Mittelstufe produzieren zu müssen; die wurde im Lehrstuhl herumgereicht." Ich bion mir nicht sicher, ob ich das Problem richtig verstanden habe: War die Klausur dem Studenten zu leicht und fühlte er sich daher unterfordert? Das kenne ich, aber es wird bald genug schwerer, da braucht er keine Angst zu haben. Oder wollte er damit sagen, die Mittelstufe hätte er schon längst hinter sich und den Stoff dementsprechend vergessen? Das wäre natürlich sehr dumm.


Es ehrt Sie, daß Sie ersteres in Betracht ziehen; es war letzteres (und in schwer eingeschnapptem Ton). Es ging nicht gerade um Prozentrechnung, aber so ähnlich ...