Nach dem Krieg lernte mein Vater Hochdeutsch. Daß er mal was anderes gesprochen hatte, merkte man nur noch seinem Englisch an. Auch meine Mutter kam nicht aus dem Dorf, in dem wir wohnten. Ich war das einzige evangelische Kind im Kindergarten und das einzige, das keinen Dialekt sprach. (Das macht man nicht.)

Wie das kam, darüber zergrübelte ich mir den Kopf. Schließlich kam ich drauf: alle Kinder werden hochdeutsch geboren, und wenn man nicht achtgibt, verbiegt sich die Sprache, wird weich, naß und eben platt.

Im Krippenspiel war ich immer Verkündigungsengel, weil ich gut auswendig lernte. Engel sprachen offenbar auch Hochdeutsch; eigentlich waren sie katholisch, das ließ man mich merken. Maria durfte ich nie. Auch für den Karnevalsverein kam ich nicht in Frage. In der Bütt durfte man ablesen, wenn's sein mußte; Platt aber war Bedingung.

Bis heute höre ich das gern, wenn jemand Platt kann (das von meinem Dorf am liebsten; aber T. mit dem vom Nachbardorf ist auch schon gut). Ich nehme es meinen Eltern immer noch übel, daß ich den Dialekt nicht sprechen durfte.

Die jüngste Generation ist zweisprachig: die Achtjährige fällt, wenn sie von den Dorfkindern erzählt, geläufig ins Platt; regt die Vierjährige sich auf, beginnt jeder Satz mit Ei ...!

Ich bin entzückt.






Hier umgekehrt, zuhause Dialekt gesprochen und dann versucht, mich dem Hochdeutschen anzunähern, was mir nie so ganz gelungen ist. Ich werde wohl immer irgendwie phonetisch erkennbar bleiben als jemand, der aus der gleichen Ecke kommt wie Helmut Kohl und Boris Becker.

Früher habe ich das ein wenig bedauert, aber Radiokarriere wollte ich eh nie machen, und so ist es halt wie es ist. Habe mir, als Joy Flemimg vor einiger Zeit gestorben ist, ihren legendären Neckarbrücken-Blues "Iwwer die Brick" in Dauerschleife angehört und ein kleines Tränchen verdrückt beim Gedanken an die Heimatstadt und die Jugend dort...


So ähnlich war's für alle Kinder im Dorf; ich fiel da auf. Ein Freund von mir fällt in Dialekt, wenn's ans Eingemachte geht; ,mei Bauch redd pälzisch', sagt er. Ich mag das ja sehr, wenn Sprache Farbe hat.


Ja, mit zunehmendem Alter (und aus der Entfernung von paar hundert Kilometern) habe ich das Gebabbel auch wieder mehr schätzen gelernt.

Und manchmal erweist sich der Ohrenkompass noch als verdammt genau, vor ein paar Jahren habe ich eine Urlaubsbekanntschaft und ihren Mann damit verblüfft, dass ich ihr auf den Kopf zusagte, dass sie wohl aus Weinheim ist. Sie klang halt exakt genau so wie meine Schwägerin, die da herstammt.


Ohrenkompaß trifft's!


Dank PEGIDA ist mein Dialekt verbrannt. Oder wenigstens die Reste dessen, was eine fünfjährige Diaspora in Hessen davon übrig lies.


Ironischerweise ist das vermutlich genau der, den sich mein Vater mühsam abgewöhnt hat, um im Westen nicht gleich als Flüchtling aufzufallen.