Samstags auf dem Markt wird ein Huhn gekauft, leider immer schon ausgenommen, aber zwoeinhalb Kilo doch. Sonntag kommt es, ohne Rückgrat, gesalzen und plattgeklopft, in den Backofen, nach unten offen auf dem Rost. Im Fett, das heraustropft, garen auf dem Blech darunter Kartoffeln und Gemüse. Das ist Tag 1.
Die Reste – Brust, Rücken, Flügel – wandern in den Kühlschrank; dito Knochen, Häute, Sehnen, jeder Tropfen Fett. Aus denen und geschnetzeltem Suppengemüse wird am Montag eine Brühe gekocht: drei Stunden kleine Hitze, abgießen, fertig, drei große Gläser voll. Huhn- und Gemüsereste, paar Pilze noch, Wein, vielleicht Sahne, aber sicher zwei Eigelb werden mit einem davon eine Sorte Frikassee: Tag 2.
Was davon bleibt, ist Dienstag, vielleicht Mittwoch noch mit frischem Gemüse eine dicke Suppe – Tag 3 und Tag 4.
Freitag dann gibt es Risotto, mit Weißwein, geriebenem Käse, Butter und Hühnerfond: Tag 5 ist noch einmal besonders luxuriös.
An den zwei übrigen Tagen kann man dann über den Zustand der Welt nachdenken.
Meinen gewisperten Namen als Hilferuf verstehen und mich auf die Bettkante setzen ist eins, noch ehe ich wach bin. Was ich tun kann, ist wenig: Hand halten. Irgendwas sagen. Bis der Herzschlag ruhiger geht, bis die Nacht wieder Nacht ist und nicht mehr Fels auf der Brust.
Wie schmal der Grat ist; und wie mächtig eine Berührung. Trost und Betrübnis in einem.
Es geht ja nicht um vier Jahre.
Mir sind die Versprechen, daß es für alle super wird und keiner auf irgendwas verzichten muß, so widerwärtig. Das hat noch nie gestimmt. Neu wäre eine Politik, die es nicht die Schwächsten ausbaden läßt.
Überhaupt, Klimakrise: Da drücken wir die Hand unserer eigenen Kinder auf die immer heißere Herdplatte und zucken die Achseln: also, ich merk nix.
Aus gegebenem Anlaß: das ist nicht alt geworden, leider.
Was bist du dieses Jahr? Sargträgerin??
Nein. Wahlhelferin bin ich dieses Jahr; fühlt sich aber gerade genauso an.
Nest zerstört, Brut geraubt – irgendwas war; einen ganzen langen Tag hatte ein Amselpaar in den Hinterhöfen gezetert, Alarm Alarm, nervenzerfetzend. Am nächsten Tag war es ruhiger, nur noch stundenweise Geschrei. Abends sang der Amselmann schon wieder auf dem Dach.
Dann saß eine kleine Amsel im Hof, ein graues Weibchen, voll befiedert. Ihr Instinkt trieb sie ins Versteck, wenn sich was regte; trug aber der Wind ein Amsellied in die Mauerschlucht, hüpfte sie unten und rief, hell und durchdringend, ohne je Antwort zu bekommen; zwei Tage lang, erst immer dringlicher, dann immer schwächer. Die zweite Nacht, es regnete stark, hat sie nicht mehr überlebt.
Zwei Tage lang hörte ich den kleinen Vogel vergeblich rufen, zwei Abende suchte ich und fand ihn nicht. Die ganze Zeit sagte ich mir: Natur, und: menschlicher Eingriff selten gut, und: so geht das eben; aber diese verlassene Amsel hat mich traurig gemacht. Um all das Vertrauen, die berechtigten Hoffnungen, die enttäuscht werden; um alle Wesen, die nicht verstehen, wie ihnen da geschieht. Und ich muß mir eingestehen: ein Teil von mir ist immer noch sieben Jahre alt und weint um jedes Vögelchen, das nicht zu retten ist.
Ich weiß nicht; gibt es dieses Jahr weniger Vögel, oder werde ich tauber?
Das Regal voller geschenkter Gläser, alle fünfzehn Jahre alt und älter: Apfel und Kiwi, Erdbeer 2004, Pflaume-Zimt oder Pampelmuse; ungeöffnet, manche noch mit einem Stoffhäubchen auf dem Deckel oder Schleife – ich werde sie nicht mehr essen, nicht mal die, die vielleicht noch brauchbar sind. Ich werde sie nicht einmal mehr aufmachen. Von jetzt an geht jede Woche der Hausmüllsack ein bißchen schwerer in die Tonne, mit einem süßen Herzen aus alter Marmelade.
(Ich möchte nicht sein wie R, der in einem Schrank in seinem Büro sämtliche Werbeblättchen stapelte und alle Bäckertüten, die er auf seinen Wegen zur Arbeit kaufte.)