Die ersten Herbsttage. Nicht mehr weit von Wollpullover bis Heizung. Die Meisen klingen im Frühjahr nach Frühling und jetzt nach kommendem Winter. Die üppigen Zeiten sind vorbei, wo die Wäsche nur einen Tag zum Trocknen brauchte.

Gestern, höre ich, war das Internet down; das war aber das Internet, das mich nicht betrifft. Hingegen hat mein alter Bloghoster mich nun endgültig vor die Tür modernisiert. Administration: ist nicht mehr. Gut, daß ich die Zelte da schon vor Monaten abgebrochen habe.

Ein großes Glas Gärgemüse ist angesetzt, in der Küche riecht es nach Hasenpups. Vier Tage warten.

Ob es kommenden Winter noch mal Schnee gibt?





Und was ist es geworden? Die Große Koalition. Ihr armen Schulkinder dürft eure Freitage weiterhin nicht im Unterricht verbringen.

 

Es war ein Gemetzel; meine Kleider sind voller Schnipsel in Rosa, Blau und Weiß: 902 aufgeschlitzte Umschläge, um 891 mal Wählerwillen zu dokumentieren.

Der wird kontrolliert und wieder kontrolliert mit Papier und Kugelschreiber, Stapeln und Listen und Protokollen und Siegeln, von vielen Händen und Augen, Hirn natürlich und Herz. Am Ende werden als Ergebnis vieler Stunden Arbeit ein paar Zahlen weitergegeben, mit einem Mobiltelefon, das für nichts anderes da ist. Das alles hat mir sehr gefallen.

Unser demokratischer Prozeß ist keine Black Box, er ist ein Saurier. Schwerfällig, altmodisch, riesengroß, weithin und von allen Seiten sichtbar. Möge uns der Himmel auf den Kopf fallen, wenn wir ihn jemals stromlinienförmig machen.





Farbe bekennen, Flagge zeigen, mit den Füßen abstimmen: bei Demonstrationen hilft nur Masse, also gehe ich hin. Ungern. Slogans, egal ob gebrüllt oder auf Plakaten, sind meines nicht; es ist mir zu laut, zu voll, zu ojeoje, aber was muß, das muß.

Während der Kundgebung schaue ich mir die Demonstranten an. Alle Altersgruppen sind vertreten, viele Kinder halten selbstgebastelte Plakate hoch. Danke, ich hab schon gewählt, sage ich dem vielleicht Achtjährigen, der mir Wahlwerbung von den Grünen überreichen will; orr Maaann, zieht er ab – das hat er heute wohl öfter gehört. Ansonsten: grundlegend friedliche Stimmung.

Ein Mann fällt auf mit blütenweißen Socken in Sandalen: er filmt sich vor der bunten Menge und murmelt in sein Mobiltelefon, irgendwas mit "Masken- und Klimagläubigen". Ein "Querdenker" bei der Feindberichterstattung für Telegram? Möglich. Ich nehme an, er wird als Demonstrant gezählt.

Unter Polizeibegleitung geht es los, der Zug ist lang genug, daß ich mich darüber freuen kann. Wer sich nicht freut: die Autofahrer, die länger warten müssen als an jeder roten Ampel. Viele haben nicht mal den Motor ausgeschaltet. Einer hat die Autotür geöffnet und brüllt in irgendeine Richtung: Irgendwann knallt's, klar, wer sich hier im Recht fühlt; aber recht hat er sicher auch.

Ich habe gewählt: Ich setze Hoffnung in Menschen.





Von einer besonnten Johannisbeerrispe die Früchte mit den Lippen abstreifen und, wenn sie zwischen den Zähnen platzen, vor Aroma, Säure und Erinnerungen frösteln.





Fast überall in meinem Kreis hat man schon, demnächst oder wenigstens bald die zweite Impfung, und so was wie Normalität gerät in Reichweite. (Meine Enttäuschung darüber, daß wir offenbar zufrieden sind, alles wieder wie zuvor zu machen, steht auf einem anderen Blatt.) Ich muß mich allmählich wieder an Menschen gewöhnen.

Sie ist fast achtzig, er zehn Jahre älter, vor einem Jahr haben sie sich kennengelernt (wie, bleibt ihr Geheimnis), vor einem halben zog sie bei ihm ein. Sie erzählt, im Prospekt habe sie seine Lieblingsmarmelade im Angebot gefunden und sich auf den Weg gemacht, gleich zehn Gläser kaufen, um ihn zu überraschen, dabei ihr Tempo überschätzt und noch in der Schlange an der Kasse stehen müssen; als sie ausblieb, habe er sich Sorgen gemacht und sei sie mit dem Auto im Ort suchen gefahren. Allein hätte sie es aber mit all der Marmelade im Rollatorkorb auch kaum geschafft. Sie, die nie ein gutes Händchen für Männer gehabt hat, sagt, dieser sei ihr größtes Glück, und: Wenn er mal nicht mehr ist, dann bleibe ich die paar Jahre allein.

Der Metzger auf dem Wochenmarkt ist wieder da: eine neue Hüfte hat er bekommen, allerhöchste Zeit war's. Der Eingriff wurde unter lokaler Anästhesie durchgeführt, alles bei vollem Bewußtsein; Schneiden, Auslösen, Sägen, Fräsen, Hämmern: es ist schon was, sich einen chirurgischen Eingriff von einem Metzgermeister schildern zu lassen, er ist ja quasi vom Fach. Jedenfalls: bestens gelaufen. Keinerlei Komplikationen, und alle so nett da. Hätte er das gewußt, wäre er früher gegangen. Ich verlasse den Stand in guter Stimmung, denn der Metzger ist einer, dem man das von Herzen gönnt.

Geschenkt: Ausflüge mit D und J: mit Menschen unterwegs, die sich auf das Schauen als Kunst verstehen. Und zu sehen, wie die schöne B in einen Pullover schlüpft und der an ihr großartig aussieht (genau für sowas habe ich Stricken gelernt).