Montag, 28. August 2017

Der Sessel ist bequem. Verdächtig bequem; und die Aussicht herrlich, einmal über die ganze Stadt. Ich könnte mich glatt entspannen, aber da kommt die Reinigerin. Mein Blutdruck schnellt nach oben.

Die Reinigerin ist blond, blutjung, hat einen vage osteuropäischen Akzent und lächelt wie ein Engel. Sie hängt mir ein Papierlätzchen um und kippt meinen Sessel hintenüber; ich sinke in die anschmiegsamen Polster. Dann blendet mich eine grelle Lampe. Ich meine ein mißbilligendes Schnalzen zu hören, einen Wie-sieht-das-aus!-Laut. Wann waren Sie? Wo war das? Wieso nicht?

Nach dem Verhör legt sie mir eine Brust auf die Stirn und greift zum Werkzeug. Weit auf, sagt sie. Und die Lippen entspannen! Wenn etwas ist, heben Sie die linke Hand. (Die klemmt unter dem Instrumententisch.) Es kratzt und reißt, klirrt und schrappt, alles innerhalb meines Schädels. Ich schließe die Augen. So sieht die Reinigerin aus wie eine vierzigjährige Offizierin der sowjetischen Armee.

Sie geht mit grimmer Energie zu Werke, meine Mundhöhle wird zum Schlachtfeld. Plaques und Verfärbungen werden aufgestöbert und erbarmungslos entfernt; hie und da landet ein Haken kollateral im Fleisch, prallt Metall auf unbeteiligten Zahnschmelz. Ich halte die Augen geschlossen.

Auf meinem Lätzchen stapeln sich Tiegel und Tinkturen, Haken, Kratzer, Schleifer, Polierer. Und jetzt, sagt die Reinigerin, der Sandstrahler. Sie setzt mir eine Schutzbrille auf: Es spritzt, da decken wir die Patienten so weit wie möglich ab. Dann wird mein Gebiß gekärchert, daß mir Hören und Sehen vergeht.

Irgendwann erstirbt alles Geräusch. In die dröhnende Stille ertönt das Kommando: Gründlich spülen! Während ich Blut spucke, doziert die Reinigerin, wie man Zähne putzt.

Dann reicht sie mir mit geradezu gelöstem Gesichtsausdruck einen Spiegel: Na, ist das nicht besser? Aus meinen Ohren rieselt feinster Sand, aber mein Gebiß strahlt. Ich lächele schmerzlich zurück und wanke aus der Praxis.