Samstag, 7. Dezember 2019

In vorgerücktem Alter habe ich erfahren, daß ich meine Schuhe falsch binde, von H, der es natürlich richtig macht. Man kann das sehen, wenn man sich eine selbstgeschnürte Schleife anschaut: Sitzt sie waagerecht, parallel über dem darunter liegenden Knoten, stimmt sie; zeigen die Schlaufen nach oben und unten, ist sie falsch und wird eher früher als später wieder aufgehen. Die richtige Schleife hält auch ohne Doppelknoten. Über die Hälfte der Schleifen, die ihm zu Gesicht kommen, sagt H, sind verkehrt.

Seit ich das weiß, möchte ich es ja korrekt machen. Aber versuchen Sie mal, eine Sache, die Sie sehr früh gelernt und jahrzehntelang automatisiert angewendet haben, von jetzt auf gleich zu ändern. Jedes Mal halte ich inne; oft genug muß ich während des Bindens korrigieren oder alles noch mal machen.

Ich fühle mich unerwartet verjüngt. Immerhin, zum Schuheschnüren bücken muß ich mich jetzt bedeutend seltener.

 

Nachsitzen zur Aktion von Ulli (Café Weltenall).





Dienstag, 3. Dezember 2019

T langweilt sich. Die Tage sind endlos. Man macht gar nicht viel mit ihm, das aber so unvorhersehbar verteilt, daß er zu nichts kommt. Eine Woche ist er schon da; wie lange es noch dauern wird, ungewiß. Und das, wo er nicht mal krank ist. Nur nach dem Auge hatte er mal schauen lassen wollen.

Statt unserer Kaffeetreffen besuche ich T nun auf Station. Das Zimmer ist überheizt, der Kaffee lau und dünn, aber sonst alles wie immer.

Wie ich da hinkomme, behalte ich für mich – den Eingang, den ich ganz vermeide, der flache Bau, vor dem ich die Straßenseite wechsle, und wie mich das ganze Gelände bedrückt, ein schwarzer Sack mit knapper Luft und hetzendem Puls. Zwei habe ich schon da lassen müssen; ganz andere Geschichten, aber der Ort erzählt sie mir jedes Mal aufs neu.

   Oh, danke! Selbst gebacken?
   Ja. Ich habe dir die häßlichen rausgesucht, du kannst sie ja sowieso nicht angucken.
   So schlecht sehe ich aber nicht!
   Das war auch gelogen. Meine Plätzchen sind alle häßlich.





Donnerstag, 14. November 2019

Die schlechten Nachrichten stapeln sich, und wir, die wir verschont bleiben, stehen machtlos: wir Menschen sind so zerbrechlich; und die anderen immer noch viel zerbrechlicher.

Man möchte sie in den Arm nehmen, die Freunde, Schwestern, Arbeitskollegen, die Kinder und sogar die, die nach einem halben Jahr voll Sorge fragen, wo ist eigentlich ...; aber wer hätte so weite Arme?

Stattdessen: zuschauen. Traurig sein, und darüber lebendig bleiben.





Samstag, 9. November 2019

Ich kaufe ungern ein; neue Kleider deprimieren mich. Wäre das möglich, hätte ich ein Paar Schuhe und einen Mantel für die nächsten dreißig Jahre. Der letzte hat es immerhin zwanzig gemacht, aber das ist eine Ausnahme, das ist mir klar. Manchmal passiert es mir, daß ein neues Kleidungsstück Jahre im Schrank liegt, ehe ich es anziehe, merke, daß es seinen Zweck ganz ausgezeichnet erfüllt, und mich dann gräme, daß ich es nicht noch einmal bekommen kann.

Ich trage T-Shirts aus dem letzten Jahrtausend und Schuhe, die älter sind als ich. Meine Jeans sind im Gebrauch abgewetzt, nicht in der Fabrik. Wenn ich etwas habe, das ich mag, dann flicke ich es wieder und wieder; Wolle, Leinen, Seide halten länger.

Gerade las ich von einem jungen Mann aus Brighton, der Schneider wurde, um sich genau die Kleidung zu machen, die er tragen will (in seinem Falle: Regency); großartig. Die Stunde Unterricht bei einer Schneiderin kostet 45 Euro. Wenn’s mir das Einkaufen erspart, wär’s das wert.





Dienstag, 5. November 2019

Mit T spiele ich gelegentlich "... könnte eine Band heißen", wenn wir über seltsame Wörter stolpern. Die düpierten Architekten, Kolonne ohne Einsatzort, Echthaartoupet ... Harry Rowohlt habe mal abgelehnt, einen Bandnamen aus dem Englischen zu übersetzen mit der Begründung, die Rolling Stones hießen ja auf Deutsch auch nicht Sich regen bringt Segen. Ich hätte eher gedacht, Wer rastet, der rostet; darüber streiten wir ein bißchen.

Vor zwanzig oder vierzig Jahren (wenn man Zeitangaben in D-Mark umrechnet, stimmt's meist) spielte im Landkreis mal, erzählt T, eine Band namens Eintritt frei; das gab Ärger.

Ich erinnere mich an ein Gemeindehaus-Konzert. Die Band mischte Neue Deutsche Welle mit Easy-Listening-Jazz. Mein Freund spielte Trompete, Saxophonisten und Schlagzeuger waren Brüder. Der Sänger und Gitarrist machte die Texte: Er ist kein Kommissar (... schwab-schwab-didab ...) und nicht beim BKA (... dab-didab ...) doch er ist wunderbar (... dadadaa daa daa daaaaaaa ...) er heißt Matulaaaa .... Völlig banane, aber ging ins Ohr.

Als die Band auf die Bühne trat, standen unten im Saal sämtliche Metalfans, die das Städtchen aufzubieten hatte, und starrten auf die Querflötistin (Freundin des Sängers), die sofort losnörgelte: Orr, ich hab doch gesagt, Black Penis ist bescheuert als Name!

Die einzig existente Probenaufnahme von Black Penis (auf Kassette) wurde weit vor der Jahrtausendwende von einem Autoradio gefressen. Wirklich und wahrhaftig: vergessene Musik.

   Wieso lachst du?    Na: könnte eine Band heißen.





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