Mit T spiele ich gelegentlich "... könnte eine Band heißen", wenn wir über seltsame Wörter stolpern. Die düpierten Architekten, Kolonne ohne Einsatzort, Echthaartoupet ... Harry Rowohlt habe mal abgelehnt, einen Bandnamen aus dem Englischen zu übersetzen mit der Begründung, die Rolling Stones hießen ja auf Deutsch auch nicht Sich regen bringt Segen. Ich hätte eher gedacht, Wer rastet, der rostet; darüber streiten wir ein bißchen.
Vor zwanzig oder vierzig Jahren (wenn man Zeitangaben in D-Mark umrechnet, stimmt's meist) spielte im Landkreis mal, erzählt T, eine Band namens Eintritt frei; das gab Ärger.
Ich erinnere mich an ein Gemeindehaus-Konzert. Die Band mischte Neue Deutsche Welle mit Easy-Listening-Jazz. Mein Freund spielte Trompete, Saxophonisten und Schlagzeuger waren Brüder. Der Sänger und Gitarrist machte die Texte: Er ist kein Kommissar (... schwab-schwab-didab ...) und nicht beim BKA (... dab-didab ...) doch er ist wunderbar (... dadadaa daa daa daaaaaaa ...) er heißt Matulaaaa .... Völlig banane, aber ging ins Ohr.
Als die Band auf die Bühne trat, standen unten im Saal sämtliche Metalfans, die das Städtchen aufzubieten hatte, und starrten auf die Querflötistin (Freundin des Sängers), die sofort losnörgelte: Orr, ich hab doch gesagt, Black Penis ist bescheuert als Name!
Die einzig existente Probenaufnahme von Black Penis (auf Kassette) wurde weit vor der Jahrtausendwende von einem Autoradio gefressen. Wirklich und wahrhaftig: vergessene Musik.
Wieso lachst du? Na: könnte eine Band heißen.
Die Bäckerei liegt einen Steinwurf abseits der Trampelpfade, nicht einmal ein Name steht am Schaufenster, das gefüllt ist mit knusprigem Gebäck. Die Einrichtung hat Jahrzehnte überdauert, Holz und Glas ohne Schnörkel, eine winzige Theke mit Zeitung und Zucker und Papiertüchelchen, eine Kühlvitrine für Sahniges, eine tüchtige weiße Espressomaschine, ein Schwarzes Brett, ein Spielautomat. Kaum Platz zum Umdrehen. Die Uhr geht ein bißchen nach.
Ich nehme einen starken Espresso, dazu einen fritierten Reisfladen und eine Art Pastel, frisch und warm. Hinter dem Schiebefenster zur Backstube arbeiten die Bäcker, mindestens drei, und Maschinen, die aussehen, als hätten sie schon viel erlebt. Die Schüsseln sind gewaltig. Eine Maschine mit blanken Gelenken knetet, ein Mann schlägt grimmig Eiermasse. Das hier, zeigt der Chef auf den Reisfladen, gibt es überall auf der iberischen Halbinsel, aber das hier: das ist Bilbao. Es schmeckt himmlisch.
Derweil kommen Leute in den Laden, wechseln ein paar Worte auf Spanisch oder in ihrer Rätselsprache und gehen wieder mit einem Brot, etwas Süßem. Der Abschiedsgruß, hin und her, klingt schön, A, ein kaum gestreiftes J, langgezogenes U und am Ende eine Ahnung von R, und mischt sich mit der Süße meines Gebäcks. Ich bin gefangen wie die Fliege in Karamel.
Vom zweiten Tag an werde auch ich mit diesem schwebenden Agur! verabschiedet, obwohl ich niemals Stammkundin sein werde; außer natürlich in meiner Erinnerung.
Nun also der Anschlag in Halle. Deutschland hat ein Antisemitismus-Problem, steht in Artikeln und Kommentaren, das lese ich auf Blogs und in Essays. Und er werde verharmlost, nicht wahr- oder ernstgenommen, totgeschwiegen. Antisemitismus sei wieder salonfähig.
Ich lese und bin befremdet. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ausgerechnet hier.
In meinem realen, lebendigen Umfeld habe ich in der Tat noch nie Antisemitismus beobachtet. Das mag an meinen freundlichen Mitmenschen liegen; es liegt aber ganz sicher auch daran: In meinem Umfeld gibt es keine Juden. Sie sind unsichtbar.
Juden kenne ich aus Geschichten. Ich weiß, wo einmal Synagogen waren und daß man Steine auf die Grabstätten legt; ich besuche Museen und lese die Publikationen der Geschichtsvereine. Ich weiß, wo und wie meine Stadt jüdisch geprägt ist. Die Namen ihrer jüdischen Bürger kenne ich von den Stolpersteinen vor vielen Hauseingängen.
Oft lese ich diese Namen, Geburts- und Todesdaten. Alles andere – Diskriminierung und Schikane, Denunziation, Deportation und Ermordung – muß ich mir ausmalen.
Daß der Antisemitismus erstarkt, macht mich ratlos und traurig. Ich würde gern etwas tun, wenigstens ein Zeichen setzen; doch ich weiß in meinem Hier und Jetzt nicht, wie.
Um elf muß ich arbeiten, kein Pardon. Aber nach Mittag, am Bahnhof treffe ich M, und zusammen gehen wir uns das letzte Ende des Klimastreiks anschauen: bunte Buden, Musik, sehr junge Leute, die auf einer Bühne sehr vernünftige Sachen sagen. M war schon auf der großen Demo, Stunden habe es gedauert, bis man überhaupt loskonnte, so viele Menschen. Es ist halt wichtig.
Im Zug nach Hause verschlägt es uns in Hörweite eines angetrunkenen Trupps von Jungmännern; der Lauteste fantasiert Bomben auf die Klimademonstranten, rühmt sich seines geilen dicken Autos und ebensolcher Eier, und die Greta, die würde er mal durchficken. M und ich schämen uns fremd. Bei Facebook gibt’s das dann wohl schriftlich, die verwaschene Aussprache abgebildet in Rechtschreibung. Es fällt mir enorm schwer zu glauben, daß die im echten Leben aber doch ganz nett sind.
Ich denke noch eine ganze Weile darüber nach. Daß ich nicht sehr schlechte Laune bekommen habe, liegt an M, dem Klugen, mit dem ein Blick zur Verständigung reicht und mit dem sich Trotz und Verzweiflung in einen Witz ummünzen lassen. M lebt kompliziert, erträgt Menschenmengen kaum und verabscheut alles Laute, aber er ist tatsächlich hergekommen; das reicht mir zu Gelassenheit.
Für den Moment zumindest.
Ach, hört doch auf mit eurem: wird alles weitergehen wie bisher. Wird es nicht; darf es gar nicht. Nun macht eure Arbeit und sorgt dafür, daß es die tragen müssen, die es leisten können.
Herrschaftszeiten.
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