Mittwoch, 18. Dezember 2019

Ich besuche die Ms im Laden. Im Schaufenster liegt Weihnachtsdekoration. Er kann sich kaum noch rühren; aber das Sortiment hat er komplett im Kopf. Er thront hinter seinem Tresen, feilscht mit Lieferanten am Telefon, und zaubert ein Lächeln auf das Gesicht jeder Kundin, da kann er nicht anders, das liegt ihm im Blut.

Ich bekomme einen Tee gekocht und die Neuigkeiten erzählt; die, und alte Geschichten. Und wie die Firmen immer öfter auf Mindestbestellmengen bestehen oder kleine Läden gar nicht mehr beliefern. Das ist bitter; sie führen das Geschäft in dritter Generation, aber da gibt es keine Loyalität.

Sie ist noch kleiner als beim letzten Mal und wuselt wie immer treppauf und treppab, Ware herbeischaffen, Gewünschtes zeigen; aber, sagt er, sie hört immer nicht richtig zu. Immer wieder muß man sie an was erinnern. Später kann ich nur mit Mühe verhindern, daß sie mir alles, was ich kaufen möchte, schenkt.


Kaffee mit T und V. Dessen Frau hat keine Zeit, gerade hat sie viel zu tun: ihre Kurse sind bestens besucht, Kinderlieder für frischgebackene Mütter. Es geht ein Bi-Ba-Butzemann, Hoppe-hoppe-Reiter, solche Sachen.


Und, ach, der Kirschbaum, den ich von meinem Fenster aus sehen konnte, ist gefällt.





Samstag, 7. Dezember 2019

In vorgerücktem Alter habe ich erfahren, daß ich meine Schuhe falsch binde, von H, der es natürlich richtig macht. Man kann das sehen, wenn man sich eine selbstgeschnürte Schleife anschaut: Sitzt sie waagerecht, parallel über dem darunter liegenden Knoten, stimmt sie; zeigen die Schlaufen nach oben und unten, ist sie falsch und wird eher früher als später wieder aufgehen. Die richtige Schleife hält auch ohne Doppelknoten. Über die Hälfte der Schleifen, die ihm zu Gesicht kommen, sagt H, sind verkehrt.

Seit ich das weiß, möchte ich es ja korrekt machen. Aber versuchen Sie mal, eine Sache, die Sie sehr früh gelernt und jahrzehntelang automatisiert angewendet haben, von jetzt auf gleich zu ändern. Jedes Mal halte ich inne; oft genug muß ich während des Bindens korrigieren oder alles noch mal machen.

Ich fühle mich unerwartet verjüngt. Immerhin, zum Schuheschnüren bücken muß ich mich jetzt bedeutend seltener.

 

Nachsitzen zur Aktion von Ulli (Café Weltenall).





Dienstag, 3. Dezember 2019

T langweilt sich. Die Tage sind endlos. Man macht gar nicht viel mit ihm, das aber so unvorhersehbar verteilt, daß er zu nichts kommt. Eine Woche ist er schon da; wie lange es noch dauern wird, ungewiß. Und das, wo er nicht mal krank ist. Nur nach dem Auge hatte er mal schauen lassen wollen.

Statt unserer Kaffeetreffen besuche ich T nun auf Station. Das Zimmer ist überheizt, der Kaffee lau und dünn, aber sonst alles wie immer.

Wie ich da hinkomme, behalte ich für mich – den Eingang, den ich ganz vermeide, der flache Bau, vor dem ich die Straßenseite wechsle, und wie mich das ganze Gelände bedrückt, ein schwarzer Sack mit knapper Luft und hetzendem Puls. Zwei habe ich schon da lassen müssen; ganz andere Geschichten, aber der Ort erzählt sie mir jedes Mal aufs neu.

   Oh, danke! Selbst gebacken?
   Ja. Ich habe dir die häßlichen rausgesucht, du kannst sie ja sowieso nicht angucken.
   So schlecht sehe ich aber nicht!
   Das war auch gelogen. Meine Plätzchen sind alle häßlich.





Donnerstag, 14. November 2019

Die schlechten Nachrichten stapeln sich, und wir, die wir verschont bleiben, stehen machtlos: wir Menschen sind so zerbrechlich; und die anderen immer noch viel zerbrechlicher.

Man möchte sie in den Arm nehmen, die Freunde, Schwestern, Arbeitskollegen, die Kinder und sogar die, die nach einem halben Jahr voll Sorge fragen, wo ist eigentlich ...; aber wer hätte so weite Arme?

Stattdessen: zuschauen. Traurig sein, und darüber lebendig bleiben.





Samstag, 9. November 2019

Ich kaufe ungern ein; neue Kleider deprimieren mich. Wäre das möglich, hätte ich ein Paar Schuhe und einen Mantel für die nächsten dreißig Jahre. Der letzte hat es immerhin zwanzig gemacht, aber das ist eine Ausnahme, das ist mir klar. Manchmal passiert es mir, daß ein neues Kleidungsstück Jahre im Schrank liegt, ehe ich es anziehe, merke, daß es seinen Zweck ganz ausgezeichnet erfüllt, und mich dann gräme, daß ich es nicht noch einmal bekommen kann.

Ich trage T-Shirts aus dem letzten Jahrtausend und Schuhe, die älter sind als ich. Meine Jeans sind im Gebrauch abgewetzt, nicht in der Fabrik. Wenn ich etwas habe, das ich mag, dann flicke ich es wieder und wieder; Wolle, Leinen, Seide halten länger.

Gerade las ich von einem jungen Mann aus Brighton, der Schneider wurde, um sich genau die Kleidung zu machen, die er tragen will (in seinem Falle: Regency); großartig. Die Stunde Unterricht bei einer Schneiderin kostet 45 Euro. Wenn’s mir das Einkaufen erspart, wär’s das wert.





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