Am Licht sieht man's nicht, aber an den Blumenständen. Die sind umschwärmt von Leuten in zu dicken Jacken, zaudernd noch, aber die meisten von ihnen werden sich ein Stück Frühling kaufen.
Ein Mädchen von vielleicht drei Jahren rennt im Gegenlicht, selbstvergessen gickelnd, oben auf seiner rosa Mütze sitzt ein ... winziger Phallus? Nein, das soll ein Einhornhörnchen zwischen Einhornöhrchen sein.
Zwei Straßen weiter steht ein Mann von der Straßenreinigung vor einer Traube rosenroter Luftballons in Form von Herzen, Ausreißer einer Hochzeitsgesellschaft vielleicht, und kratzt sich den Schädel; dann stampft er entschlossen einen nach dem anderen Ballon mit einem Knall kaputt, damit das Ganze in den Müll paßt.
Heute bin ich leicht zu amüsieren.
Immer, immer die Frage, wieso eigentlich.
Zwingend anonym. Dazu gehört zwingend die Fähigkeit zum Selbstbetrug, denn Anonymität ist bekanntermaßen schwierig.
Am liebsten unbeobachtet. Komfortgrenze: so viele Leser, wie ich beim Schreiben ausblenden kann. Ein weiterer Selbstbetrug.
Für mich: sammeln, sortieren, aufbewahren. Den Geschichtchen, die mich so entzücken, eine Art Dauer schenken.
Externer Speicher: Aufschreiben, vergessen können.
Die potentielle Öffentlichkeit dient der Disziplinierung. Ohne das würde ich gar nix schreiben.
(Ich weiß doch auch nicht.)
Aufgeflogen.
Und was schreibst du da?
Och, nix. Geschichtchen ...
Komme ich da etwa drin vor?
Ähm, also ...
Das hättest du mir aber sagen müssen!
...
Gardinenpredigt ist eigentlich ein so hübsches Wort.
Es geht darum, einen Faden, ein Ding, das letztlich nur eine Richtung kennt, zu verwandeln: nicht bloß in eine Fläche, sondern in ein Gebilde mit räumlicher Ausdehnung, mit Gestalt.
Zusammenhalt entsteht durch Reibung, indem man also den Faden mit sich selbst verschlingt und verkürzt zu einer Masche nach der anderen. Die rechte Hand regiert die Häkelnadel, sticht sie in geeignete Schlaufen und zieht neue Schlaufen hervor, die sie wiederum in einer späteren Runde durchstechen wird; sie vollführt Runde um Runde dieselbe Bewegung, damit alle Maschen immer gleich aussehen.
Auf dem Weg zu größtmöglicher Reibung aber muß der Faden möglichst reibungslos laufen, denn jede Hemmung würde die Schlaufen verengen, zu großer Spielraum dem Gewirk das Gleichmaß nehmen. Für die richtige Spannung des zulaufenden Garns sorgt die linke Hand. Ihre Finger führen den Faden zwischen kleinem und Ringfinger nach oben, zwischen Ring- und Mittelfinger nach unten und dann in dreifacher Windung über die Spitze des Zeigefingers, von wo ihn die Nadel entgegennimmt.
Die linke Hand ruckt, zupft, zieht, faßt nach, gibt frei, spannt neu, ohne System, nur reagierend, wie eine Fechterin in der Defensive. Die rechte Hand mag häkeln; die andere vollführt einen Tanz. Das ist der Teil dieser Arbeit, der mir Freude macht.
(Das knöchelfeine Knistern und Knicken im linken Handgelenk gehört unbedingt dazu.)
Nach dem Krieg lernte mein Vater Hochdeutsch. Daß er mal was anderes gesprochen hatte, merkte man nur noch seinem Englisch an. Auch meine Mutter kam nicht aus dem Dorf, in dem wir wohnten. Ich war das einzige evangelische Kind im Kindergarten und das einzige, das keinen Dialekt sprach. (Das macht man nicht.)
Wie das kam, darüber zergrübelte ich mir den Kopf. Schließlich kam ich drauf: alle Kinder werden hochdeutsch geboren, und wenn man nicht achtgibt, verbiegt sich die Sprache, wird weich, naß und eben platt.
Im Krippenspiel war ich immer Verkündigungsengel, weil ich gut auswendig lernte. Engel sprachen offenbar auch Hochdeutsch; eigentlich waren sie katholisch, das ließ man mich merken. Maria durfte ich nie. Auch für den Karnevalsverein kam ich nicht in Frage. In der Bütt durfte man ablesen, wenn's sein mußte; Platt aber war Bedingung.
Bis heute höre ich das gern, wenn jemand Platt kann (das von meinem Dorf am liebsten; aber T. mit dem vom Nachbardorf ist auch schon gut). Ich nehme es meinen Eltern immer noch übel, daß ich den Dialekt nicht sprechen durfte.
Die jüngste Generation ist zweisprachig: die Achtjährige fällt, wenn sie von den Dorfkindern erzählt, geläufig ins Platt; regt die Vierjährige sich auf, beginnt jeder Satz mit Ei ...!
Ich bin entzückt.
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