Samstag, 16. Juli 2022

Warum ich so oft und so vieles nicht veröffentliche oder nicht mal schreibe, ist mir selbst ein Rätsel; Herr Irgendlink hat recht: von nix kommt nix.

Also kann ich berichten, daß ich mir in Vorbereitung auf die Affenhitze mein erstes Alte-Frauen-Kleid gekauft habe. Darunter werde ich die zusammengeerbten, hundert Jahre alten Unterhemden tragen, ja, sogar die hundertfuffzigjährigen (für Männer), und das macht zwar nichts gut, bereitet mir aber eine tiefe, prinzipielle Freude.

Großes Handwerk, wie das gewebt, genäht und bestickt ist. Ich wasche und bügele bloß, sicher nicht mal ansatzweise so, wie es die Herstellerinnen gekonnt hätten, aber ich werde all die schönen weißen Spitzen, die schweren Stoffe mit Verneigung und Vergnügen tragen.





Mittwoch, 22. Juni 2022

Die erste große Hitze ist über die Stadt gebrandet und hinterläßt einen Spülsaum aus gebleichtem Gras, abgeworfenen Straßenbaumästen und von Ameisen überlaufenen, toten Jungvögeln auf den Gehsteigen, die der Temperatur noch kein Federkleid entgegenzusetzen hatten.

Es wird immer stiller, sagt M. Im Ballungsgebiet dünnt der Vogelchor Jahr um Jahr weiter aus. Und wir: gewöhnen uns dran. Bis wir nichts mehr hören als unsere eigenen Stimmen; und die der Motoren.





Montag, 6. Juni 2022

Ein Fürst unter den Nerds ist der, der nicht nur seine eigene Programmiersprache entwickelt, sondern ihr auch noch einen Namen aus der eigenen Kunstsprache gibt.

    Und wie spricht man das aus?
    Eine oder zwei Silben, je nach dem, welcher Dialekt.





Mittwoch, 25. Mai 2022

In der Kantine treffe ich R, in der Nische für Mitarbeiter und Freunde des Hauses. Wir nehmen uns in den Arm. R ist dünn geworden, aber gebräunt, mit frischem Haarschnitt. Seit er kein Auto mehr fährt, wandert er weite Strecken zwischen den Ortschaften mit seiner Hündin, die nun unterm Tisch schläft.

Ich freue mich, ihn zu sehen. Mir geht's prima, grinst er und wird kurz ernst, nur die Birne ist scheiße.

Gerade ist F da, der Mann einer Mitarbeiterin, die heute keine Betreuung für ihn hat. F, ein grau-blonder Seebär mit Lachfalten um die sehr blauen Augen, war mal Ingenieur. Er ist schon länger krank als R. Mehrmals am Tag legt er sich für ein Stündchen hin. Dazwischen kümmert sich R um ihn, trinkt mit ihm Kaffee, stellt ihn Leuten vor, nimmt ihn mit auf Spaziergänge.

Beiden fallen oft die richtigen Worte nicht ein. Bei F sind die Lücken offensichtlich: wie alt sein Sohn ist? was er nachher macht? Er lächelt bedauernd. Also, das weiß ich nun wirklich nicht. Manchmal fängt er eine Geschichte an, die dann nach kurzer Zeit versiegt. In den Pausen kommt seine Frau vorbei und hilft ihm in die Jacke oder reicht ihm das richtige Besteck. Einmal äfft er giftig ihren Tonfall nach. Na hör mal, weist sie ihn milde zurecht, ich meckere doch gar nicht mit dir! Ach so, lacht F. Das muß man einem Dummen auch mal sagen.

Unterm Tisch erwacht die Hündin und klopft mit dem Schwanz auf den Boden. Als R sie noch nicht lange hatte, machte sie sich, wenn sie spürte, daß seine Aufmerksamkeit abdriftete, selbständig und lief zu anderen Leuten oder suchte den Boden ums Buffet ab. Jetzt bleibt sie in Rs Nähe, legt ihm immer mal wieder die Pfote aufs Knie, läßt sich streicheln und folgt ihm mit dem Blick, wenn er den Tisch verläßt. Mit F hält sie es genauso, einfach so, und der ist entzückt. Paß mal bloß auf, R, scherzt er, die klau ich dir.

Rs Erzählungen mäandern; immer wieder entschuldigt sich, daß er Wortfindungsstörungen habe. Dann wieder gelingt ihm eine schlagfertige Antwort, und alle am Tisch lachen. Nur F schaut vor sich hin und sagt leise: Ich versteh das alles nicht. Wie das hier funktioniert. Er weist in die Runde, auf die Kantine, auf die Welt. Da schiebt sich seitlich die Hundeschnauze auf sein Knie, und siehe da: für einen Moment ist alles gut.





Montag, 2. Mai 2022

Es fängt, wie manches Unglück, an mit einem Schnupfen. Der ist hartnäckig, eigentlich immer da, nicht mal Antibiotika können ihm was; meist hält er sich im Hintergrund. Dann aber: wumms, halbe Nase zu, dann Druck im Schädel, Schmerz bei Wind, dann: Ohr dicht, voller Rauschen oder Dröhnen. Was durchdringt, klingt häßlich, verspätet, tiefer oder höher als der Rest. Musik macht überhaupt keinen Spaß, Gespräche auch nicht, Telefonieren tut weh. Schlimmer noch: der Wecker piept umsonst, die Orientierung im Raum ist dahin, jeder Wortwechsel schlingert um "Was?"

Im Wartezimmer hängen seltsame Drucke an der Wand von halbtransparenten Wesen in Gürteln und Stricken. Ja, rechts schlechter, nein, nichts zu sehen, weiß man nicht, müssen wir beobachten.

Ich kenne das, irgendwann geht's auch wieder, nur nie mehr so gut wie vorher. Einstweilen schlafe ich viel.

Die Medizin, bemerkt H, ist keine exakte Wissenschaft; und dann geht die Stocherei los.

(Abgrundtief keine Lust.)





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