H. hat weiche, warme Hände, ein dröhnendes Lachen und immer zu tun. Er schafft es, sich die Welt passend zu machen, ohne das auch nur in Frage zu stellen. Überhaupt: was gilt, gilt. Seine Freundschaften halten; gerade die mit schwierigen Menschen.
Jetzt steht er mit gerunzelter Stirn vorm Kühlschrank. Natürlich sind alle Magnete gesplittert, weil natürlich die Kinder sie gegeneinander geschnippt haben. Und, fährt er noch einen Ton verdrossener fort, jetzt werde ich ganz sicher nicht anfangen, Kindern zu verbieten, Magnete zusammenzuschnippen; wofür sind Magnete denn da?!
Friede, Freude, Eierschecke! Es wurden nicht Kosten noch Mühen gescheut, und nun wälzt sich das Volk durch die Innenstadt, drängt sich in Buden, läßt sich belustigen und informieren, Kameras, Würstchen und Bierbecher stets im Anschlag. Hier bißchen Musik, da bißchen Technik, Klosterbrot, Handwerksbier und Beta-Prominenz – man zeigt, was man hat. Es herrscht friedliche Stimmung. Die Menge schiebt sich von Bühne zu Bühne mit Kind und Kegel, und alle paar Sekunden macht sich ein Ballon los und schwebt davon, anderswo einen Vogel ersticken.
Zur Sicherheit ist die Stadt für den Alltag gesperrt. Betonklötze und quergestellte Einsatzfahrzeuge verschließen die Verkehrsadern, Kameras überwachen, an manchen Zelten wird gefilzt. Das stört nicht sehr, denn selbst die Polizei scheint guter Laune.
Am schlimmsten, sagen die Leute, ist, daß man nirgends mit dem Auto hinkommt. Aber, doch, ein schönes Fest, so insgesamt betrachtet.
Nun tritt wieder die Dunkle ein, der hellen Schwester entgegen: Die, sie grüßend, erhebt sich vom Vorsitz des Jahrs. Beide gehen freundlich für einen Schritt miteinander, bis dann, mit kühlerer Hand, faßt nach dem Zepter die Nacht.
(Für Herrn Solminore, der das Jahr im Versmaß begleitet.)
Meine Großeltern, samt und sonders um das Jahr 1900 geboren, hatten den ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik und Beginn wie Ende des tausendjährigen Reichs erlebt. Als ich anfing, das interessant zu finden, waren sie alle schon tot.
Meine Großmutter väterlicherseits war stolz auf ihre Behmische Knedln. Die bekamen wir, wenn wir den jährlichen Besuch absolvierten, allemann im Käfer über die Betonpisten des Arbeiter- und Bauernstaates. Oma, weißgelockt und kittelschürzig, kannte ich nur im Gehäuse ihrer Küche; für alles vor der Tür war die Familie zuständig.
Als ich lesen konnte, inspizierte ich die Bücherregale. Viel war da nicht, und was es gab, war zumeist Theologisches. Oma, erfuhr ich, war evangelisch geworden, als sie heiratete. Diese Entscheidung hatte sie offenbar nicht auf die leichte Schulter genommen.
Noch später belauschte ich die Erwachsenengespräche nach Tisch. Daß Mein Kampf in den Kachelofen gewandert sei, sobald mein Vater die Schule absolviert hatte, tat ich zunächst als zeitübliche Gesichtswahrungsfolklore ab (wir sind ja keine Nazis gewesen).
Über meinen Vater erfuhr ich, daß er die Abiturprüfung abgelegt hatte als einer von dreien – der Rest des Jahrgangs war vorzeitig mit einem Notabitur in den Krieg gezogen. Ich wußte auch, daß er sich gedrückt hatte, so lang es ging; als es dann nicht mehr ging, hatte er hinter der Westfront Kerzen gegossen und war bald in Gefangenschaft geraten. Auf meine Kinderfragen antwortete er entnervt: Sonst hätte ich kämpfen müssen!
Von dem Wenigen, was ich weiß, reimte ich mir manches erst als Erwachsene zusammen. Der eigenartige Vorname des Urgroßvaters, die Liebe der Großmutter zu ihrer Küche und ihre Furcht vor dem Draußen, das Hochdeutschreden, oh, und die Leute auf ihrer Beerdigung, Verwandte, die ich nicht verstand: meine Großmutter war aus dem Osten gewesen, ihre Herkunft ein Makel; so sehr, daß man sie sogar mir verschwiegen hat.
Es gab nicht viel, was mich mit meinem Vater verband, aber dafür, daß er sich einem System, das Menschen unterschiedlichen Wert zumaß, nach Kräften verweigerte, dafür achte ich ihn hoch.
Aus seinem Dachfenster habe er eine Eule gefilmt, schwarz vorm Nachthimmel auf dem Nachbardach, im Zwiegespräch mit einer zweiten, mitten in der Stadt!, habe dann jedoch, immerhin von dem Schuhuh aus dem Schlaf gerissen, die Aufnahme im Tran gelöscht.
Ich hingegen muß einen Teil der Kartoffeln wegwerfen, sie sind angekohlt. Habe ich nicht gesehen, entschuldige ich mich bei T., die Glühbirne im Herd ist kaputt.
Früher wurde im Dorf die Straßenbeleuchtung ausgemacht, von elf bis vier. Mit dem Rad heimfahren war riskant, aber man konnte um Mitternacht im Garten sitzen und die Sterne sehen.
Die Nacht, was die Stadt von ihr übrig läßt, reicht heute genau über den halben Tag.
Auf die Visitenkarte: Kauzkartierung und Rabattenkritik.
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