Der kleinste Betrag, den der Bankautomat ohne weiteres Geklicke zum Abheben anbietet, ist hier zehn Euro. Mir, aus einer Fünfzig-Euro-Gegend, kommt das entgegen.
Du hast ja Krümel auf dem Kleid – und sonst doch immer so perfekt! – Die Außensicht verblüfft mich bisweilen. Ich nehme noch einen Keks.
Am Nachmittag Regen und Sonne durcheinander, abends ein Himmel mit galoppierenden Wolkenherden, rot, rauch- und feuerfarben, türkis, ein Geschenk auf den Heimweg.
H. ist königlich noch, wenn sie in Turnschuhen zum Briefkasten geht; alles wendet sich ihr zu. Ihre Stimme ist hell und weich und klingt leise nach ihrer Heimat. H.s Geschichten, das war schon immer so, sind drastisch und landen schnell auf dem Friedhof, und oft grübele ich nachher, hat sie das wirklich gesagt?
H. reagiert auf Unterbrechungen, indem sie einfach lauter spricht. In ihrem unaufhaltsamen Fluß von Worten blitzt es manchmal auf, treibt eine Formulierung vorbei, ein Satz oder mehrere, die klingen wie von hundertjährigem Gebrauch so zugerichtet, daß sie sich in meinem Gedächtnis verhaken, aber während ich noch diesem Ton nachsinne, geht es schon weiter und weiter.
... den Sohn von der Schwester vom Großchen hatte ich am liebsten, ein gerahmtes Bild über der Anrichte, früher hat man das so gemacht, der hieß der schöne August, so schön!; fünfzehn war er, da ist ihm im Wingert das Pferd durchgegangen, ein furchtbares Unglück, schrecklich; ihn und sein Brüderchen hab ich sonntags immer gegossen ...
Schon im Sichten merke ich, daß da in meiner Erinnerung einfach nur Worte sind, wie die bunten Steine, die man im Bachwasser lassen muß, damit sie leuchten.
Schluß mit dem Gewimmel! Die Flügeltierchen hier werden jetzt schön aufgespießt und abgeheftet: die mouches werden archiviert!
(Muß ich wohl aufräumen? Ab jetzt lesen, gegenlesen, wiederlesen mit fremden Augen? Vielleicht weniger spiegeln und mehr meinen, womöglich zergliedern, bewerten, vernetzen ...? Mehr Relevanz?)
Am besten vergessen wir das Ganze schnell wieder. Tun wir so, als wäre nix. Hier fliegt weiterhin alles herum, als sähe niemand zu.*
(*) Leihnahme von Libralop.
K. trägt heute ihre Halskette aus grauen Möbelgleitern und Haarnadeln, man zögert, sie Schmuck zu nennen. Aber Protz will K. gerade noch weniger als sonst. Hast du gesehen, einen Tag nach der Amtseinführung hatte das Oval Office goldene Vorhänge.
Eine halbe Zwiebel in einem Plastikbeutel (@halfonioninabag) versucht gerade, mehr Twitter-Follower zu sammeln als der Präsident der Vereinigten Staaten. Nutzt natürlich auch nichts, aber es hat dazu gereicht, mich noch einmal bei Twitter einzuloggen.
Das komplette ABC-Interview habe ich gelesen. Wegschauen ist schwer bei diesem transatlantischen Desaster, dieser bizarren Mischung aus Kindervorstellung und Trauerspiel. Barbarische Zeiten sind ausgebrochen.
Vielleicht sollte ich es halten wie H.: keine Nachrichten. Schlimm ist es auch, ohne daß ich davon weiß.
Und daß es alles andere als in Ordnung ist, wenn der Anführer der freien Welt (was immer das bedeutet) so medienwirksam wie beiläufig Folter gutheißt. Daß Verantwortung auch bedeutet, die Menschenrechte nicht ohne Not in Frage zu stellen. Daß man darüber überhaupt streiten kann, hinterläßt mich, gelinde gesagt, irritiert.
Zum Festakt hat mich T. mitgenommen, das sei unterhaltsam, man müsse auch nicht hungrig nach Hause gehen, und so sitze ich im Theater im geschniegelten Publikum.
Der Preisträger und sein Laudator sind wenig ernst und schrecklich sympathisch. T. und ich amüsieren uns; in der Reihe hinter uns, wo die Sitze Namenszettel tragen, zischelt es, das dauere diesmal aber lang.
Später stehen wir oberhalb eines Meeres kulturbeflissener Scheitel und testen Häppchen. Goldene Buffetregel: wenn was runterfällt, nicht mal gucken. T. zeigt mir Prominenz (... der da neben Martenstein, der Filmemacher, der ist auch aus B.; damals noch mit Haaren bis zum Arsch ...), aber ich kenne keinen, bis, ja, bis sich plötzlich die Menge teilt und, erhobenen Hauptes und ganz in Rot, Tante I. einen Autogrammwunsch an den Ausgezeichneten heranträgt; ihr Mann wartet im Mantel. Das letzte Mal habe ich sie auf einer Beerdigung gesehen, das erste Mal beugte sie sich auf einer Familienfeier voller Wohlwollen zu mir herab. Ich bin erfreut.
Eine Weile beobachten T. und ich dieselbe Frau, bleichgepudert, wunderschön, schulterfrei. Bald schwenkt sie das Haar auf die eine, bald auf die andere Seite; bald schmollt sie, bald lacht sie perlend, bald läßt sie die Brauen über dem schwarzen Brillenbalken tanzen. Eine ältere Frau kann die Hände kaum von ihr nehmen. So jung waren wir auch mal, sagt T. Nee, meine ich, in dem Alter war ich nie, und komme mir ein wenig ungerecht vor.
Wir wollen noch ein Bier trinken gehen, aber in der Kneipe ist es zu laut. Man ist ja nichts mehr gewöhnt.
Nächste Seite