Häkeln besteht aus Schaf, Dranbleiben und Zählen.
Es wäre einfacher, wenn ich zählen könnte. Das heißt, ein entfernter Teil meines Hirns tut nichts anderes; das ist ganz schön, so kann ich meinen Gedanken nachhängen, während sich irgendwo in meinem Kopf die Maschen addieren. Aber wehe, ich will das Ergebnis wissen. Mein Hirn hat den Off-by-one-wenn's-drauf-ankommt-Fehler erfunden.
Hirn: … 43, 44, 45, 46, 47, 48!
Ich: Stimmt das auch?
Hirn: Och. Zähl besser noch mal nach.
Hirn: … 12, 13, 14, 15, …
Ich: Gut, gut machst du das!
Hirn: … 18, 19, 20, 21, …
Ich: Vielleicht wär's einfacher, immer nur bis zehn zu zählen und dann die Zehner zu addieren?
Hirn: … 25, 26, 27, …
Ich: Dann käme jetzt gleich 8, 9, 30?
Hirn: Wenn ich hier nicht in Ruhe arbeiten darf, mach deinen Mist alleine!
Hirn: … 64, 65, 66, 77, 78, …
Ich: He!
Hirn: Haha, nur Spaß, nur Spaß! … Ähm. Wo waren wir –?
Irgendwie werden die Sachen dann trotzdem was. Geduld habe ich, und improvisieren konnte ich schon immer.
Sag mal, wie oft hast du das noch mal aufgemacht?
Oh, keine Ahnung, wirklich. Habe nicht mitgezählt.
Immer, immer die Frage, wieso eigentlich.
Zwingend anonym. Dazu gehört zwingend die Fähigkeit zum Selbstbetrug, denn Anonymität ist bekanntermaßen schwierig.
Am liebsten unbeobachtet. Komfortgrenze: so viele Leser, wie ich beim Schreiben ausblenden kann. Ein weiterer Selbstbetrug.
Für mich: sammeln, sortieren, aufbewahren. Den Geschichtchen, die mich so entzücken, eine Art Dauer schenken.
Externer Speicher: Aufschreiben, vergessen können.
Die potentielle Öffentlichkeit dient der Disziplinierung. Ohne das würde ich gar nix schreiben.
(Ich weiß doch auch nicht.)
Es geht darum, einen Faden, ein Ding, das letztlich nur eine Richtung kennt, zu verwandeln: nicht bloß in eine Fläche, sondern in ein Gebilde mit räumlicher Ausdehnung, mit Gestalt.
Zusammenhalt entsteht durch Reibung, indem man also den Faden mit sich selbst verschlingt und verkürzt zu einer Masche nach der anderen. Die rechte Hand regiert die Häkelnadel, sticht sie in geeignete Schlaufen und zieht neue Schlaufen hervor, die sie wiederum in einer späteren Runde durchstechen wird; sie vollführt Runde um Runde dieselbe Bewegung, damit alle Maschen immer gleich aussehen.
Auf dem Weg zu größtmöglicher Reibung aber muß der Faden möglichst reibungslos laufen, denn jede Hemmung würde die Schlaufen verengen, zu großer Spielraum dem Gewirk das Gleichmaß nehmen. Für die richtige Spannung des zulaufenden Garns sorgt die linke Hand. Ihre Finger führen den Faden zwischen kleinem und Ringfinger nach oben, zwischen Ring- und Mittelfinger nach unten und dann in dreifacher Windung über die Spitze des Zeigefingers, von wo ihn die Nadel entgegennimmt.
Die linke Hand ruckt, zupft, zieht, faßt nach, gibt frei, spannt neu, ohne System, nur reagierend, wie eine Fechterin in der Defensive. Die rechte Hand mag häkeln; die andere vollführt einen Tanz. Das ist der Teil dieser Arbeit, der mir Freude macht.
(Das knöchelfeine Knistern und Knicken im linken Handgelenk gehört unbedingt dazu.)
Nach dem Krieg lernte mein Vater Hochdeutsch. Daß er mal was anderes gesprochen hatte, merkte man nur noch seinem Englisch an. Auch meine Mutter kam nicht aus dem Dorf, in dem wir wohnten. Ich war das einzige evangelische Kind im Kindergarten und das einzige, das keinen Dialekt sprach. (Das macht man nicht.)
Wie das kam, darüber zergrübelte ich mir den Kopf. Schließlich kam ich drauf: alle Kinder werden hochdeutsch geboren, und wenn man nicht achtgibt, verbiegt sich die Sprache, wird weich, naß und eben platt.
Im Krippenspiel war ich immer Verkündigungsengel, weil ich gut auswendig lernte. Engel sprachen offenbar auch Hochdeutsch; eigentlich waren sie katholisch, das ließ man mich merken. Maria durfte ich nie. Auch für den Karnevalsverein kam ich nicht in Frage. In der Bütt durfte man ablesen, wenn's sein mußte; Platt aber war Bedingung.
Bis heute höre ich das gern, wenn jemand Platt kann (das von meinem Dorf am liebsten; aber T. mit dem vom Nachbardorf ist auch schon gut). Ich nehme es meinen Eltern immer noch übel, daß ich den Dialekt nicht sprechen durfte.
Die jüngste Generation ist zweisprachig: die Achtjährige fällt, wenn sie von den Dorfkindern erzählt, geläufig ins Platt; regt die Vierjährige sich auf, beginnt jeder Satz mit Ei ...!
Ich bin entzückt.
Ist das gut oder schlecht?
Ein Platz auf dem Sofa ist schon sehr gut, aber man muß auch mal ungeniert in die Polster pupsen können.
Opa und Enkel vor einem Plakat: Guck, Bubb, des do is die Welt. Und do wohne mir. Genau in de Mitt!
Heimat sei ein "irrealer Sehnsuchtsort": Mit Verlaub, jeder Sehnsuchtsort ist irreal, und nichts daran ist per se verwerflich; Sehnsucht treibt uns, macht uns widerstandsfähig, macht uns menschlich.
Gibt es ein Recht auf Heimat? Gibt es ein Recht darauf, seine Heimat zu bewohnen? Oder gar eine Pflicht dazu? Jede dieser Fragen führt ins Absurde; und dann wird im echten Leben und mit echten Konsequenzen verhandelt, was noch nicht einmal eine Definition erfahren hat.
Ministerium für Liebe. Ministerium für Wahrheit. Ministerium für Normalität.
Aber natürlich muß man nachdenken, gerade wenn's um Gefühle geht.
Luftwurzeln ist im Zusammenhang mit Heimat ein wunderbares Wort.