Die erste große Hitze ist über die Stadt gebrandet und hinterläßt einen Spülsaum aus gebleichtem Gras, abgeworfenen Straßenbaumästen und von Ameisen überlaufenen, toten Jungvögeln auf den Gehsteigen, die der Temperatur noch kein Federkleid entgegenzusetzen hatten.
Es wird immer stiller, sagt M. Im Ballungsgebiet dünnt der Vogelchor Jahr um Jahr weiter aus. Und wir: gewöhnen uns dran. Bis wir nichts mehr hören als unsere eigenen Stimmen; und die der Motoren.
Es fängt, wie manches Unglück, an mit einem Schnupfen. Der ist hartnäckig, eigentlich immer da, nicht mal Antibiotika können ihm was; meist hält er sich im Hintergrund. Dann aber: wumms, halbe Nase zu, dann Druck im Schädel, Schmerz bei Wind, dann: Ohr dicht, voller Rauschen oder Dröhnen. Was durchdringt, klingt häßlich, verspätet, tiefer oder höher als der Rest. Musik macht überhaupt keinen Spaß, Gespräche auch nicht, Telefonieren tut weh. Schlimmer noch: der Wecker piept umsonst, die Orientierung im Raum ist dahin, jeder Wortwechsel schlingert um "Was?"
Im Wartezimmer hängen seltsame Drucke an der Wand von halbtransparenten Wesen in Gürteln und Stricken. Ja, rechts schlechter, nein, nichts zu sehen, weiß man nicht, müssen wir beobachten.
Ich kenne das, irgendwann geht's auch wieder, nur nie mehr so gut wie vorher. Einstweilen schlafe ich viel.
Die Medizin, bemerkt H, ist keine exakte Wissenschaft; und dann geht die Stocherei los.
(Abgrundtief keine Lust.)
Ich hatte mal einen Brieffreund, der ging auf die Götheschule. Stellte sich raus, daß er natürlich wußte, wie man Goethe buchstabiert – die Schule hieß aber nach Johann Friedrich Nilsson Eosander von Göthe, Baumeister des Barock und natürlich immer, immer verwechselt mit dem –. Eine Geschichte, in der es eigentlich nur Verlierer geben konnte; die Brieffreundschaft hat dann auch nicht lang gehalten.
(Bei "immer, immer" muß ich immer, immer an einen Cartoon denken, den mir mal eine Mitbloggerin, Übersetzerin und Sprachdrechslerin, in einem Kommentar beschrieben hat: Ein Mann kommt zur Wohnungstür herein, im Flur steht ein Putzeimer, darin ein Hund, und der Mann denkt: "Immer, immer sitzt der Hund im Putzwasser, wenn ich heimkomme". Die Mitbloggerin bloggt leider lange schon nicht mehr. Den Cartoon würde ich gern mal sehen.)
Lieblingsschild auf dem Markt, an einem Stand mit mediterranen Spezialitäten: Kunuspirege meis körner.
Derweil Frühling, natürlich.
War ich wieder mal beim Friseur, also nicht dem üblichen, sondern bei der, die das gelernt hat, und habe gesagt: kurz, und: jaja, einfach machen, und: daß ich bloß keine Arbeit damit hab.
Erst ein Schrecken: die Silhouette meiner Mutter, Betonfrisur mit Fönbedarf.
Zwei Tage später aber dann sehe ich im Spiegel aus wie auf dem einen Foto, das ich von ihm kenne, mein Großvater, der polnisch fluchte und sich weigerte, zur Hochzeit meiner Eltern in die Kirche zu gehen (recht hatte er): graue Borsten wider Schwerkraft, Mode und Wahrscheinlichkeit grob nach oben starrend, überm Dickschädel noch restgelockt, und das gefällt mir dann doch sehr.
(Im Traum überreicht mir M eine Rose aus gelbem Papier, kunstvoll gefaltet, und zieht dann hüpfend und trällernd von dannen, was so un-M ist, daß ich mich selbst aus dem Schlaf lache.
In der Ruhe nach dem Sturm übt eine Amsel.)
Durch die Gegend meiner ersten ausgedehnten Wanderungen werden Schneisen geschlagen. Zwar verläuft die neue Autobahn anderswo; aber das hier werden ihre Zubringer. Meine Mutter, noch Bauernkind genug, hätte den Kopf geschüttelt: So viel Land …!
Meine Abneigung gegen Zeit am Steuer ist körperlich; vorher tagelang Magendrücken, hinterher komplett erschlagen. Laune: schweigen wir davon. Das war schon in der Fahrschule so – ins Auto steigen mit Locken, ohne wieder raus.
Und falls heute jemand hinter mir in sein Lenkrad gebissen haben sollte: Nein, tut mir wirklich nicht leid. Ich hatte zu tun: aus einem 5,3-Liter- einen 5,1-Liter-Kleinwagen machen.