Mir kommt das ja eigentlich entgegen. Nur daß es nichts ist mit dem Wandern, betrübt mich.

Den ganzen Tag stehen die Fenster offen; die Vögel übertönen den Verkehr mit Leichtigkeit. Und Schönheit.

Der liebe Freund sagt, er sei jetzt wieder bei Fakebook. Menschen wie er könnten es sich nicht leisten, da wegzugehen, wenn sie sich nicht isolieren wollten. – Mich macht eine Welt wütend, in der es ohne das nicht mehr geht. Vielleicht machen mich auch Leute wütend, die Kontakte anders nicht mehr pflegen. Daß Freundschaft jetzt offenbar auch einen Stecker hat.

(Die tief innerliche Enttäuschung als kleines Kind, wenn Spielzeug Strom brauchte. Das war bedürftig; das war nicht frei. Mit dem war nur unter Bedingungen was anzufangen.)

Quarantäneküche: Risotto mit Hühnerfond, Pecorino und frischem Spinat, in Knoblauch gedünstet.





Die Stadt steht still; das mag ich. Nein, ich hamstere nichts; ja, ich bleibe für mich. Es fehlt weder an Büchern, Netz, Arbeit, Wolle noch an Leitungswasser. Sogar Wein wär noch da.

Zunehmend auf die Nerven geht mir der Ton von DIE sind schuld. "Ich kann keine Gesichtsmasken kaufen, Merkels Politik hat versagt". Echt. In Blogs von alten Bekannten werden zunehmend Wahrnehmungen zu Wahrheiten, Verschwörungtheorien sind immer nur einen Klick entfernt. Mißmut regiert. Ich kommentiere nicht mehr und frage mich, ob das richtig ist.

Schönere Dinge: Eine liebe Blogfreundin will einen Online-Zeichenkurs geben; ich habe erwogen, Schreibspiele zu veranstalten mit anderen gelangweilten Netznutzern. Man muß was zu denken haben, und Pestzeiten haben uns die schönsten unanständigen Geschichten beschert.





Die Nachrichten von den griechischen Inseln sind schmerzhaft häßlich, aber am schlimmsten finde ich den Ton der Betroffenheit unserer Regierungsvertreter. Und daß die Lösung für alles Frontex heißen soll.

Mich verblüfft, wie ein mikroskopisch kleines Stück Information unser globales System aus Vernetzung und Wachstum-Wachstum-Wachstum aus dem Gleichgewicht werfen kann. Der Kapitalismus ist ein Radfahrer ohne Pedale: auf Schußfahrt ist alles kein Problem, aber wehe, er muß mal bremsen.

Derweil verlangt ein Mann im Unverpackt-Laden einen Fünf-Kilo-Sack Nudeln, so einen, wie sie in die Verkaufsgefäße gefüllt werden, ganz: Hamsterkauf in Dinkel und bio.

In meiner kleinen Welt tragen liebe Menschen Dinge, die ich gemacht habe; hat H eine Schreibtischschublade aufgekriegt, die mein ganzes Leben lang nicht zu öffnen war; ist Antville dank freundlicher Leute wieder mehr Inhalt als Spam. Und bei zunehmendem Frühling versucht es im Viertel wieder eine Amsel. Das Leben könnte schön sein, wirklich.

 

Aus der Seele: Zur Lage.





Der Sturm ist vorübergezogen.

Irgendwo beim Kaufhaus wohnt ein Mann, ich sehe ihn morgens mit seiner Isomatte an der Bushaltestelle vorm Eingang, groß und scheu; nie nimmt er Blickkontakt auf, aber einmal starrte er auf meine schlammverkrusteten Schuhe. Einmal kaufte er drinnen ein Glas Naturjoghurt und aß ihn draußen auf der Bank; einmal hatte er Haare und Bart geschnitten. Er scheint nicht zu trinken, nicht zu lesen, nicht zu sprechen. Ich weiß nicht, ob er sich langweilt; vielleicht hat man dazu keine Zeit, wenn man überleben muß. Vorstellen kann ich es mir nicht.

Die Frau, die mich heute ansprach, trug Grün: hellgrüne Jeans, knallgrüne Jacke, darunter einen Strickpullover von sanfterem Ton; an der dunkelgrünen Tasche hing ein geblümtes Tuch, so daß ich nicht als erstes dachte: ohne festen Wohnsitz, sondern: wow, was für ein Sinn für Farben. Sie sei mittellos, sagte sie sachlich und ging dann, trotz verfilzter Haare nicht ohne Eleganz, ihrer Wege.

Das Haus mit der kleinen Wäscherei wird abgerissen, die Kirche hat’s verkauft; die Mieter müssen bis Ende des Jahres raus. Geplant ist ein Block mit Luxusapartments. Genau das, was die Stadt jetzt braucht.





Sie war mir einmal das größte Vergnügen; ich kannte sie so gut das nur möglich war, hatte mehr Freude mit ihr als Mühe, aber dann waren doch andere wichtiger, habe ich sie für Jahrzehnte links liegen lassen, und nun: achje, auweia, lange her. Also habe ich mir einen Lehrer gesucht, dem mein guter Wille reicht, um neue Schritte in die alte Sprache zu wagen.

Je nun.

Die Begeisterung ist sofort wieder da. Das verknappt Verzierte, die Netze aus Klang und Anspielung, die vielen Schichten von Sinn in einer Handvoll Silben: ich sehe es. Aber, ach, ich komme nicht dran. Alle zwei Wörter ein: Oh, das wußte ich mal. Es ist wie Lesen ohne Brille. Ein paar Gewißheiten, und den Rest raten. Grammatik: löchrig. Vokabeln: allesamt entfleucht. Sprachgefühl: schlaftrunken.

Ich bin traurig. Die Schöne, mit der ich früher Hand in Hand ging, dreht sich nicht mal mehr nach mir um.

Ich muß mehr Blumen besorgen.