Möge es besser werden!
Statt zwei Stunden Mörser zu Mitternacht gab es stündlich zwei versprengte Böller; zum Schlafen war das nix, aber relativ eine stille Nacht.
Letztes Bild aus dem alten Jahr: Fünf vielleicht Dreijährige, deren Mütter sich auf dem Marktplatz unterhalten (auf Abstand und maskiert), bestaunen den Stadtwerker, der die Tonnen in den brüllenden Müllwagen leert, Mordsgerüttel mit nichts als einem lässigen Hebeldruck, Fluppe im Mundwinkel. Und während die Mütter sich darüber austauschen, was sie Silvester machen (und was nicht), kann man zuschauen, wie in fünf jungen Hirnen der Plan keimt: Müllmann werden; rauchen, nur noch Orange tragen. Wenn nicht nächstes, dann übernächstes Jahr.
Liebe Menschen, die Sie hier vorbeischauen: haben Sie's gut! So gut es nur geht. Und finden Sie Freuden, gerne ungeahnte, unbekannte, unverhoffte. Danke fürs Hiersein.
Hatte sein Schlimmes. Hatte aber auch sein Gutes: den ersten Dezember, in dem ich daheim bleiben darf und meine Ruhe habe.
Was wird: weiß man nicht; das ist verschieden schlimm. Etwa daß S, die Apokalyptische, sich angesteckt hat bei einem Kollegen. Dessen Schnelltest war negativ gewesen, da hat sie ihn im Auto mit ins nächste Dorf genommen. Hätte sie wissen müssen, sagt sie; nun kann man nur Daumen drücken.
Wie für U und seinen Laden; für D und J, zwischen denen schon einmal die Grenze geschlossen wurde; für T und alle Künstler; für M und die Traurigen; für die Alten; für die Schulkinder. Für alle, denen Sicherheit und Wärme fehlen.
Ich wünsche uns allen (und einigen im besonderen) Phantasie. Und, ja, doch, Liebe.
Neuerdings grüßt mich der Nachbar mit den blauen Augen und dem stahlgrauen Haar. Jahrelang hat er an mir vorbei oder durch mich hindurchgeschaut, wie der sehr, sehr alte Herr G, Frau K aus meinem Haus, ihre Freundin und die anderen, mit denen er unter einem Fenster oder in einem Hauseingang tratschte. Es gab eine richtige Nachbarschaft in der Straße, als ich herzog; die Post klingelte nie vergebens, kein Auto wurde unbemerkt zerkratzt, und man wußte, wer nachts lärmend heimgekommen war.
Aber die Zeit, die Zeit: Nach zwei neuen Hüften kam Frau K ins Heim; ihre Freundin hörte irgendwann auf, sich die Haare zu färben, manchmal steht sie mit Rollator an der Gehsteigkante und weiß nicht weiter. Daß einer gestorben war, erfuhr ich gelegentlich beim Bäcker (so jung! noch neddemol achzisch!); oder ich sah die Autos des Bestatters, der Entrümpler, der Handwerksbtriebe und irgendwann die Möbelwagen neuer Mieter. Die Gegend verändert sich, die Bewohner werden jünger, lauter und bleiben nicht mehr lang.
Und jetzt grüßt der Blauäugige mich. Vielleicht bin ich reingealtert in die Gegend; nach zwölf Jahren zählt man hier wohl langsam doch zum Inventar.
H baut Uhren. Nicht mit Zängelchen und Zehntelmaß, sondern mit Lötkolben und Programmiergerät. Wanduhren, Standuhren, Wecker, irgendwann mal auch ein Taschenührchen.
Wecker sind anspruchsvoll. Der größte anzunehmende Ausfall eines Weckers wäre, daß er nicht weckt. Er darf nicht zu viel Strom trinken, also geht er schlafen. Er muß wissen, wann die Zeit umgestellt wird, Schalttage und Schaltsekunden beherrschen. Nun, wer weckt den Wecker? Woher nimmt er sich die Zeit?
Ich lerne viel, das heißt, ich lausche Hs Ausführungen über Funksignale, Leiterplatten, LEDs und Prozessoren, elektrische Störeinflüsse, Mikrolöttechnik und dergleichen mehr. In meinem Kopf läuft dazu ein Sendung-mit-der-Maus-Erklärfilmchen ab, und ich nicke verständig. Manchmal ruckelt das Filmchen oder kommt knirschend zum Halten; dann stelle ich eine Frage, mehr oder minder punktgenau, und weiter geht's.
Das meiste natürlich zu einem Ohr rein und zum anderen raus, aber ein paar Dinge bleiben hängen, Garderobenwissen, und es verfestigt sich der Eindruck, daß Elektronik bemerkenswert kompliziert sei, die Zeitmessung eine ganz und gar irre Sache und die Verbindung von beiden, naja. Muß man wollen.
Und dann gibt es diese Goldstückchen, die mir aus der Wissenslawine zufallen, die ich, aus dem Zusammenhang gerissen, mit mir herumtrage und mich an ihrem Glitzern erfreue:
"Wenn in einem Jahr, das mit ..00 endet, der 28. Februar auf einen Montag fällt, dann ist Schaltjahr."
Kalender sollte man daraus machen, das in Stein meißeln oder in Kreuzstich sticken, mit Zahnrädchen und Schmetterlingen verziert.
Die geschätze Blognachbarin erkundigt sich – danke! Mir geht's gut, außer der Technik ist alles in Ordnung. Erst war ich ein wenig offline wg. Arbeit und Strickenlernens, dann wollte mein Bilderblog nichts mehr von mir wissen, dann war ich ihm (eigentlich dem ganzen Internet) ein Weilchen bös, und nun ist Herbst, und ich habe drei Pullover mehr. Immerhin.
Wie schön, wenn's wärmt! Das Wesen des Geschenks ist ja, daß es unverdient ist und keine Schulden macht. Insofern.
Ansonsten: Pullover Nr. 4 und ein bunter Schal mit Dreier-Nadeln; dann endlich ein Buch, durch das ich vorsichtig streife wie durch frischen Schnee: elfhundertvierundsechzig Seiten, und ich darf sie alle lesen.
(Über das Mittelalter weiß ich, daß Briefe von den Boten, die sie beförderten, unterwegs auf den Marktplätzen verlesen wurden, so daß das Volk teilhaben durfte an den Gedanken der schreibenden Schicht. Das, was nur für den Empfänger bestimmt war, stand in einem gekennzeichneten Abschnitt; der wurde verschwiegen. Briefgeheimnis.)
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