Ich habe einen Stadthut und einen Waldhut. Mit dem Stadthut sagt man mir, ich sei elegant; mit dem Waldhut schnorrt mich am Bahnhof keiner an. Die Waldschuhe waren teurer; die Stadtschuhe werden häufiger geputzt. Die Waldjacke ist wärmer und einige Jahre länger geliebt. Der Haustürschlüssel rutscht mir laufend durch ihr Taschenfutter.
Meist bin ich Vollzeitstadtmensch, aber gar nicht so gern.
Dolly Parton, weiß T beim Kaffee, habe mal an einem Dolly-Parton-Ähnlichkeitswettbewerb teilgenommen und den zweiten Platz belegt. Zwei Tische weiter fällt einem Mann die Kuchengabel auf den Teller.
Wenn ich mit T irgendwo Kaffee trinke, haben wir eigentlich immer Publikum, egal ob er aus seiner Zeit als Lokalreporter oder von damals ausm Dorf erzählt. Einmal, da war noch H dabei, wandelndes Linguistik-, Elektrotechnik- und Küchenlexikon, kam eine Frau extra an den Tisch, um uns zu sagen, sie habe ja noch nie einem so inspirierenden Gespräch gelauscht.
Leider, da sind T und ich uns einig, fehlt in unserer Stadt ein Café, wo man stundenlang in wechselnden Tischgesellschaften Stammgast sein könnte. Wir trauern dann unserem Kleinstadtkaffeehaus nach, einem Tortenparadies mit schwedischen Designtapeten, das in den Neunzigern schloß; wenn so was hier eröffnen würde – also, wir wären da. Wird aber vermutlich nicht passieren. Solche Cafés kann man heute nicht mehr machen. Hachja, seufzt T, früher. Da hatte man noch Zeit; da war früher alles besser und die Zukunft trotzdem rosig.
Erwacht mit einem prächtigen blauen Fleck am linken Knie. Entweder führe ich ein Doppelleben, oder ich betreibe den Nachtschlaf neuerdings als Risikosportart.
Der Pullover soll zum Winter fertig werden. Nun kommen die Ärmel dran. Aber welcher zuerst?
Rutschte ich auf festgetretenem Schnee aus und bräche mir einen Arm (und hoffentlich den linken, den rechten brauche ich sehr), dann müßte ich den mühselig hergestellten Ärmel abschneiden für den Gips.
Sollte nun zum Winter überhaupt erst ein Ärmel fertig sein, so wäre der günstigste Fall, daß ich den rechten Ärmel für den rechten Arm, den linken aber noch nicht mal angefangen hätte und mir sowohl das Abtrennen wie das Neustricken sparen könnte. Also fange ich mit dem rechten an, denn ich bin ein optimistisch denkender Mensch.
Zuallererst habe ich übrigens den Rollkragen gestrickt.
Die Tage werden merklich kürzer. Mauersegler, die dieses Jahr spät geschlüpft sind, werden nun bald vergeblich in ihren Nestern warten, daß die Eltern Futter bringen; irgendwann werden sie, von Hunger und innerer Unruhe angetrieben, zum Ausgang der Bruthöhle hüpfen und zum ersten Mal hinausschauen. Sie waren noch nie in der Luft. Abends dann stürzen sie sich in die Tiefe und fliegen achttausend Kilometer nonstop bis über den Äquator. (Manche von ihnen werden, wenn sie im nächsten Mai zurückkehren, ihre Bruthöhlen nicht mehr vorfinden: in der Stadt saniert und baut man gerade Dächer aus. Die Segler werden trotzdem Jahr für Jahr die Fassaden anfliegen und die alten Nesteingänge suchen.)
Im Naturschutzgebiet kommen sie uns entgegen, eine kleine Kette, drei plüschig graue zwischen zwei prachtvollen weißen Tieren: die Schwanenfamilie flußab-, wir drei in unseren Paddelbooten flußaufwärts. Wir halten den Abstand maximal. Als wir glücklich vorüber sind, hebt hinter uns ein gewaltiges Getöse an: einer der Altschwäne startet zum Flug und rennt über den Fluß, schwingenschlagend und schnaufend, auf uns zu und peitscht mit seinen Schwimmfüßen die Wasseroberfläche. Er hebt dann aber doch nicht ab, sondern bremst abrupt, so daß uns seine Bugwelle weiter den Fluß hinaufschiebt. Dann wohl keine Schwanenküken zum Abendessen, witzeln wir; aber wir haben verstanden.
Der Fluß führt Hochwasser, die Uferpflanzen treiben wie Tang unter der Oberfläche. Wieder ist es eine Schwanenfamilie, diesmal mit zwei Jungen, die in Formation am Uferrand gegen die Strömung ankämpfen. Der vordere der Altvögel steuert die fast überspülte Kaimauer an und wuchtet sich hinauf, um den Landeplatz zu sichern. Zeitgleich mit den Jungtieren kommen die Spaziergänger an, ein ganzer Schwarm, Kameras gezückt und auf die Vögel gerichtet. Ehe diese sich auch nur niederlassen können, brechen die Alten den Versuch ab und scheuchen die erschöpften Kleinen ins Wasser zurück. Die Menschen am Ufer verlaufen sich so schnell, wie sie eben gekommen sind, und tippen Kommentare zu den Schwanenfotos in ihre Telefone.
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