Ein wichtiges Telefon ist kaputt, und die Nachbarin hustet so häßlich. Ich kann heute nichts anfassen, geschweige denn festhalten.
Daß es das noch gibt: E650, den Bauerntod, über den man im Dorf nur unter Anrufung des Allmächtigen sprach. Diesmal war's ein Nachbar von Freunden. Daß unser Apotheker sich erhängt hat, schreibt die Freundin, sagt eine Menge über den Gifttod.
Dann muß ich mir dringend Gedanken machen darüber, was ich eigentlich machen will. Was ich mache, reicht mir nicht recht. Ich denke an M. und wie ich tausend Ideen habe für ihn, aber für mich keine.
Die Waschmaschine anmachen, damit wenigstens etwas läuft.
Ich kenne nicht viele waschechte Arschlöcher. G. habe ich mal für einen Freund gehalten; inzwischen weiß ich es besser. Was ich nicht weiß, ist, wie er eines geworden ist. Vielleicht war er es schon immer, und ich habe das nur nicht sehen wollen? Ein Gedanke voller Peinlichkeit.
H. erzählt von einem, das kennt er nur virtuell. Was ist das für einer?, will ich wissen. H. zuckt die Schultern. Sieht auf dem Foto aus wie ein ganz normaler Mensch, ist aber ein Arschloch.
Gelegentlich diskutiere ich darüber, wie viele der Regeln für unser Zusammenleben auf der Vorannahme basieren, daß Leute sich wie Arschlöcher verhalten, und wie viele voraussetzen, daß sie's nicht tun. Zumindest gibt es ganze Geschäftsmodelle, die nur dank Arschlöchern blühen.
Und dann bin ich sehr froh, wieder an etwas anderes zu denken.
C. ist knochig geworden unter seinen Kleidern, durchsichtig und gebeugt. Es ist, als hätte man einen großen Vogel im Arm. Die Behandlung, sagt er und schaut weg dabei, war eine Qual; die hat ihn ganz und gar zerdrückt, an Leib und Seele. C. hat sie abgebrochen, er konnte nicht mehr. Jetzt beginnt er wieder zu essen, zu schlafen, zu lesen, allmählich wieder unter den Menschen zu sein. Sein Nein hat ihm wohl mehr Leben geschenkt, als die Chemo es könnte.
Ich denke an K. und H. in ihrem Bauernhaus mit den Obstwiesen. K. kümmert sich zunehmend allein um die Gärten, denn H. kann immer weniger. Dabei sind es die Gärten, sagt K., die ihn am Leben halten; alle anderen, die sie mit seiner Erkrankung kannte, sind längst gestorben. H. lebt mit seinen Bäumen, Austrieb, Blüte, Frucht, Laubfall, Jahr für Jahr.
Derweil spielen draußen die Jahreszeiten verrückt. Während endlich die Stadtplatanen ihre Blätter verlieren, bauen Tauben Nester, und die Meisen stimmen Reviergesänge an.
Endlich wieder mal knietief in Arbeit: Vor Vergnügen plansche ich ein wenig, im übertragenen Sinne.
Geschenkt bekommen: eine Goldparmäne. Schmeckt genau so prächtig, wie sie heißt.
Maß für Wohlgefühl in Gesellschaft: Die Zeit, die ein Gespräch, ausgehend von gewöhnlichen Themen, braucht, um ins Abstruse zu entgleisen. (Je kürzer, desto größer.)
Nur noch selten Seegang; einzelne Wellen, die mich heben und sanft wieder absetzen. Sommerechos.
Auf dem Weg zur Bahn wartet gegenüber an der Ampel eine junge Mutter mit Tochter, eins von diesen Riesenkindern, wie man sie heute durch die Stadt schiebt; vier ist das Mädchen sicher schon und sehr genervt, daß die Mutter auf Grün wartet. Los! Fahr!, tönt das Kommando aus dem Kinderwagen, und auf die Proteste der Mutter, daß die Fußgänger rot hätten: die anderen Leute gehen auch!
Irgendwo muß ein Mittelaltermarkt sein. Vorm Fahrkartenautomaten steht ein Mönch oder Druide mit übermannslangem Wanderstab und Kutte, am Leibstrick eine hölzerne Schale und an den Füßen erstaunlicherweise Schnabelschuhe mit stark einwärts gedrehten Spitzen, und müht sich, eine Fahrkarte zu bekommen, ohne daß dabei sein Stab umkippt, seine Schuhspitzen gegen den Automaten drücken oder sich sein Bart verheddert.
Die schönste Erscheinung des Morgens aber ist eine Nonne im schneeweißen Habit, die mir entgegenkommt; ich habe den Wind im Rücken, sie die Sonne. Und die läßt sie erstrahlen, eine Lichtgestalt in wehendem Weiß mit dunklem Kern: ihr weiblicher Körper im Schattenriß. Ein hinreißendes Bild, das sie sicher unziemlich fände, wüßte sie darum.
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