Samstag, 18. Juni 2016

Der Beiname des Worst Case ist: Aber davon wollen wir nicht ausgehen.

Vielleicht gibt es ja noch eine Möglichkeit. Vielleicht ist es nicht so schlimm. Wenn all diese Wunder einträten, wären sie keine Wunder mehr. Man wendet sich: an Fachleute, an Zweitfachleute, an Überlebende, an Leute, die alles ganz anders machen, und dreht sich im Kreis.

"Was ich auf keinen Fall möchte, ist eine lange Leidensphase." Aber das wird dann heißen: die Hoffnung aufgeben. Ich hatte ganz vergessen, wie tief die sitzt; ein Stachel mit Widerhaken.

Die Mühlen sind angeworfen. Ein lieber Freund wird, auf die eine oder andere Art, darin verschwinden.

Aber. Aber. Vielleicht. Vielleicht. Vielleicht.





Samstag, 11. Juni 2016

Ich muß ein bißchen auf T. warten und frage ihn, was seine Entschuldigung sei.   Ich wollte dir das gute Gefühl geben, ausnahmsweise als erste da gewesen zu sein.   Hier, bitte schön, reiche ich T. das mitgebrachte Nußgebäck. Eine Schnecke. Wappentier der Zuspätkommer.   Ich dachte, mischt sich der Kaffeemann ein, wer zu spät kommt, wird zur Schnecke gemacht?   Wir regeln das subtiler, sage ich.   So, daß man sich auch noch dafür bedanken muß, ergänzt T., und zu mir: Danke, übrigens. Das werde ich dir nicht vergessen.

T. erzählt von seinen übellaunigen Großeltern, die es schafften, ihre Gäste aktiv zu deprimieren. Eine Weisheit seines Großvaters habe gehießen: Wenn der Bauer morgens lacht, gehörn ihm zwei gesunde Zähne gezogen.   Es liegt also in der Familie, fasse ich zusammen.   Tja, antwortet er. Was soll man machen.

Er habe, sagt T., ein Herz für öde Orte. Diese hier gefallen ihm gut.





Donnerstag, 9. Juni 2016

Meine Freiheit ist: abtauchen. Vom Radar verschwinden. Aus dem Raster fallen. Unbehelligt, unbewertet, unbeobachtet Privatsachen tun können.

Wir leben in einer Solidargesellschaft. Alle zahlen Steuern, Beiträge, Rücklagen für Man-weiß-es-nicht, und auch Raucher haben eine Krankenversicherung, Raser eine Unfallversicherung, auch Leute mit geringem Karriereinstinkt ein notdürftiges Auskommen. Wir haben in gewissen Grenzen die Freiheit, Dummheiten zu machen. Diese Freiheit sind wir im Begriff, aufzugeben zugunsten von ... ja, was? Der absoluten individuellen Verantwortlichkeit. Niedrigere Beiträge für Nichtraucher, geringere Kreditwürdigkeit für Leute aus der falschen Wohngegend. Alles passend nach Datenlage zugeschnitten. Risikominimierung.

"Früher bin ich einfach losgelaufen, zwanzig, dreißig Kilometer durch den Wald. Unbesorgt. Würde ich irgendwo umfallen oder mir den Knöchel brechen, würde es heute heißen, wieso hat der kein Mobiltelefon dabei gehabt?"

Es geht vielleicht irgendwann nicht mehr darum, die Privatsphäre als persönlichen sicheren Raum zu verteidigen, sondern als einen der Unsicherheit. Unverwertbarkeit.

– Was möchten Sie, daß aus Ihrem Kind einmal wird? – Es soll ein gutes Leben haben, überall zurechtkommen, keinen Mangel leiden. Es soll sich mal aussuchen können, wie es lebt.

Als ein guter Grund, einen Teil der Freiheit wegzuschenken, gilt landläufig die Liebe.

Von. Und zu.

Die Krähenvögel, die auf der Autobahn von der Fahrspur flüchten bis exakt über die durchgezogene weiße Linie; und wie sie dann dahinter stehen, als könne ihnen keiner was.





Sonntag, 5. Juni 2016

Herzblut plus Kürzen, Kürzen und Kürzen, oder so ungefähr doch. Und dann sind sie mir doch nicht alle gleich lieb. Man weiß vorher nie, wie sie werden (außer: kurz).

Geschichten sind der Leim, auf den ich fliege; mit denen kann man mich beschenken, entlohnen, verzaubern. Manchmal ist es eine Formulierung oder die Stimme, eine Geste, ein Blick. Oder es ist die Tatsache, daß diese Erzählung nur für genau ihren Erzähler wahr ist.

Dann natürlich: daß wir in Geschichten leben; daß wir gute Enden brauchen, nicht: glückliche, sondern solche, die nicht verloren sind. Ach ja, und das überall greifbare Gefühl, die große Erzählung, in der wir uns gerade befinden, könne nirgends hin führen oder eine böse Wendung nehmen. Meinerseits Gewißheit: es wird weitergehen, denn wir sind Menschen.

M. schreibt, was viele lesen würden, hinter verschlossener Tür (ich bestaune das); D. kippt sich aus und seziert sich und teilt sich mit der Welt (danke dafür). T., dessen Geschichten ich so mag, will kein Blog (schade).





Montag, 30. Mai 2016

Es hat noch mal weit runter geschneit, jetzt, Ende Mai, und deshalb reicht der Schnee im Blickfeld fast bis auf die Wiese, in der die Grillen tiefen Südens zirpen.

Unterwegs sein ist fast nie so beschwerlich, wie ich vorher dachte; und trotzdem bin ich dann überrascht, wie sehr ich mich auf daheim freue.

Ich habe ein Unwetter verpaßt und trotzdem einen See nicht gesehen.

Yuval Harari führt die moderne Reiselust auf ein Zusammenspiel aus Romantik und Individualismus zurück. Menschen streben nun mal nach mehr als Satt- und Sicherheit. Und wo sich frühere Menschen um ihr jenseitiges Heil gesorgt hätten, zähle bei uns das – exotische – Erlebnis. (Und vielleicht, was wir auf Speicherkarten und Videochips davon mitbringen.)

Ich weiß nicht, ob es mir an Individualismus gebricht; aber daß ich unromantisch sei, höre ich häufiger.





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