Freitag, 12. Februar 2016

Leider schmeckt alles nach Pappendeckel, aber, oh, so schön still hier.

Sorgen um die Spinne unterm Sofa. Wird sie überleben? Nicht verhungern, nicht zertreten oder weggesaugt werden? Meine Träume konstruieren Rettungswege, bis mir klar wird, daß gar nicht die Spinne im Zimmer ist, sondern das Zimmer in der Spinne; danach schlafe ich beruhigt.

Ansonsten treibe ich in Watte gepackt durch den Tag. Die Taubheit bewahrt mich vor Klingel wie Telefon.

Nach Tagen endlich: Massensterben von Mikroben. Hoffe ich zumindest. Ich gehe wieder schlafen und träume mir einen Fortschrittsbalken.





Dienstag, 9. Februar 2016

Wie sie Kontakte pflegt, nichts ausläßt, genießt, was zu genießen ist. Manchmal spricht sie noch im Präsens von ihrem Mann und verbessert sich sofort. Manchmal weint sie, kurz und untröstlich.

Und an manchen Tagen fügt sich alles, als wolle ihr die Welt das Leben schön und leichter machen. Das freut mich sehr.

Draußen doch kein Sturm; drinnen Fieber, Tee und viel Schlaf.





Mittwoch, 27. Januar 2016

Alles für alle! Und daß keiner Grund zur Klage sieht: sanft und sicher, natürlich. Wie lange ist es her, daß Taschentücher reißfest und durchschnupfsicher waren? Jetzt sind sie in der Regel wäschefreundlich. Das soll, bitte nicht erschrecken, eine Warnung sein; wie jetzt noch reißfester auf den Müllbeuteln. Nicht daß es hinterher heißt, man hätte von nichts gewußt.

Ach, die hübschen Wörter, die ihr Dasein auf Tüten, Schachteln und in Anzeigen fristen, aller Durchkopplung beraubt, satzzeichenarm, dafür an Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt gekettet*, und 25 % mehr versprechen. Mehr! Mehr Leistung, mehr Inhalt, mehr Gefühl: Garantien zieren. Nichts unbedacht, nichts absichtslos. Höchstens frei von Sinn.

Die Klopapierpackung im Bad verkündet: Kompakte Rollen durch enge Wicklung. Ich stelle meine Brille einen Ton dunkler. Alles wird gut.

 

(* Laufzeit mindestens bis zu vier Stunden. Kann Spuren von Nüssen enthalten.)





Sonntag, 24. Januar 2016

Eine junge, eine alte.

Die junge: blonde Schönheit in Schwarz und Pelz, bei Minusgraden im verschneiten Prager Zoo auf halsbrecherischen Absätzen unterwegs; rehgleich staksend mit nach innen gekehrten Zehen. Sie hängt zwitschernd, aber sichtlich hilflos am Arm ihres Begleiters. Vor den Gehegen bleiben sie höchstens kurz stehen. Einmal bewegt sich ein Ende ihres blonden Pelzkragens und beginnt zu kläffen, da ist es ein winziger, blonder Hund. H. amüsiert sich über meinen Begriff Zierweibchen; wir fragen uns, ob ihr das hier wohl Spaß macht. Als wir das Paar überholen, sehen wir, daß unter ihren Schuhsohlen noch die Preisschilder kleben. An ihr Gesicht kann ich mich nicht erinnern.

Die alte Dame steigt in Dresden in den Zug, begleitet von einem alten Herrn mit Blindenbinde; sie hat in unserem Abteil reserviert. Er ermahnt sie, sich zu melden, sobald sie angekommen sei. Beide sind mindestens achtzig; Geschwister vielleicht. Sie küssen sich zum Abschied. Die alte Frau trägt ihr weißes Haar kurz und schwarze Kleider; sie nickt auf der Fahrt immer wieder ein. In Prag fragt sie uns, ob wir ihr mit den Koffern helfen können; es sind zu viele und sicher zu schwer. Sie reise bis Sankt Petersburg. H. und ich nehmen ihr Gepäck und lotsen sie in die Haupthalle. So zerbrechlich sie wirkt, sie ist recht gut zu Fuß. Vor der Tafel mit den abfahrenden Zügen bleiben wir stehen: keiner nach Petrohrad. Sie kramt ihr Ticket hervor. H. und ich sehen uns an: das sind noch siebenunddreißig Stunden Reise, Abfahrt in einer Stunde. Sie lächelt. Neinnein, das wird schon alles gehen, danke. Schließlich lassen wir sie im Bahnhofsgetriebe zurück, aber wir sprechen noch lange von ihr: jetzt geht ihr Zug. Jetzt ist sie in Moskau, jetzt müßte sie angekommen sein. Hoffentlich, hoffentlich ist alles gut gegangen ... Und wie hinreißend ihr Lächeln war. Ihre Geschichte hätte ich gern gewußt.





Mittwoch, 20. Januar 2016

Und dann bekommt man einfach so eine Stadt geschenkt.

R., der strubbelige Riese, der in dröhnendem Baß zwischen drei und mehr Sprachen springt und in jeder schmutzige Witze weiß, führt uns durch das Prag der Einheimischen. Gassen und Boulevards, Bahnhöfe, Parks, Festungsmauern. Warme Gaststuben, herzhafte Küche für kleines Geld. Menschen, die froh machen. Und Schnee, eine dichte Decke, noch obendrein.

P. hingegen ist sanft und leise, und wie er sich freut, ist eine Freude. Ihm gelingt es, mir bei zwei Bier die Leute hier zu zeigen, worüber sie lachen, was sie mögen, wo sie stur sein können. Die goldene Stadt hat er mir von innen erleuchtet.

Ein Touristending muß natürlich sein. In der Menschentraube vor dem Rathaus erklärt ein Stadtführer: mit Glockenschlag der Uhr werden die Apostel an den Fenstern über dem Zifferblatt vorbeiziehen. Der geschnitzte Tod wird nicken, und die Menschen ihm gegenüber werden die Köpfe schütteln, weil sie nicht mit ihm wollen, aber was hätte das je gebracht. Und hier sei der einzige Ort in der Stadt, wo man wirklich um Hab und Gut fürchten müsse, wenn man so gebannt nach oben schaut.

Ich schaue dann doch mehr auf die zahllosen emporgehobenen Bildschirme und Bildschirmchen, die den Zug der Apostel, den nickenden Sensenmann und die sich sträubenden Menschen vervielfältigen. Vielleicht wird wirklich der ein oder andere nachher dieses Filmchen besitzen und sonst nicht mehr viel. Bedenke, daß du sterben mußt, und paß dabei auf deine Sachen auf.

Und, klar, so ist das mit Geschenken: wiederkommen muß ich.





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