Sonntag, 10. Januar 2016

Sie waren, im vierundfünfzigsten Jahr ihrer Liebe, wie jeden Abend gemeinsam zu Bett gegangen. Gleich nach dem Gutnacht muß es gewesen sein, da wurde er still, für eine Nacht noch Wächter ihres Schlafes; als sie erwachte, war sie längst allein. Da schrie sie.

Im Hausflur, von dem Türen in alle Zimmer gehen, haben sie ihn aufgebahrt, in Kleidern, die er gerne trug. Die breiten Hände halten nur noch Rosen. Wir Lebenden schauen scheu hinüber auf den Schläfer und sprechen ein Gebet.

Dann bringen sie ihn aus dem Haus, das er selbst gebaut hat. Vier Männer müssen tragen, denn er war nicht klein. Die Klappe des Leichenautos senkt sich gemessen, am Wagenhimmel stehen Sterne.

Eine schöne Aussegnung, sagen alle. Sie, die übrig bleibt, sie nickt und kann und kann es nicht verstehen.





Samstag, 9. Januar 2016

Man kann sie überleben, verarbeiten, hinter sich lassen. Immer kleinere Steine, ein alter Mantel am Wegrand; und doch, und doch: als Echo auf fremden Verlust ist sie, stürzender Untergrund, schwarze Dürre, Bleigewicht und alles, sofort wieder da, hinter Glas zwar und ohne rechten Hunger, aber da.





Mittwoch, 30. Dezember 2015

Mit Rädern und Reifen ist hier nichts zu wollen. Der Aufstieg ist beschwerlich, das gehört dazu: gleich hinter dem Dorf das Mauertreppchen ganz steil und bröckelig und ohne Regelmaß, hoffentlich kommt keiner runter, und autsch, voller Brombeergerank.

Oben dann, falls man sich zum Sterben niederlegen möchte, eine Bank vom Verschönerungsverein. Die Aussicht liegt hinter Unterholz; so hört man nur den Lärm vom Fluß herauf, und das ist der Rhein, der kann Lärm. Diese Bank anderen überlassen.

Weiter, fort vom Fluß, durch den Wald, der die Geräusche moosig dämpft. Gehen, bis die Bäume Buchen werden und höher: da wendet sich der Hauptweg nach links, und nach rechts zweigt ein Pfad. Dem folgen.

Durch eine Senke, vorbei an schwärzlichen Grundmauern; das Haus muß sehr allein gestanden haben hier. Ein Stückchen noch, über eine runde Kuppe. Gehen, bis der Wald von den Schultern gleitet wie ein schwerer Mantel, bis der Blick sich unwillkürlich zum Himmel hebt, ehe er in die Tiefe fällt.

Kein Rhein – eine Falte abseits, bewaldet bis auf den Grund; bis auf das Rauschen eines Bachs angefüllt mit Stille. Hier steht die Bank, die ich meine. Hier sitzt man wie auf einer ausgestreckten Hand unter den Wolken.

Es ist nur eine geringe Höhe und keine wirkliche Wildnis, doch läßt man besser zwei Finger auf dem Holz, einen Fuß am Boden, wenn man Brot ißt und Wasser trinkt, um nicht unversehens über die Wipfel davonzuschweben.

Hier ein wenig balancieren.

 

Weil der Herr klagefall gefragt hat.





Montag, 28. Dezember 2015

Alle Welt will Fisch zu den Festtagen; in der Räucherei muß man lange anstehen. Die Verkäuferinnen sind freundlich und effizient. Ein älterer Herr ist an der Reihe. Er hat schon einiges auf dem Tresen liegen.     Wie wollen Sie den Lachs, gebeizt? geräuchert?     Oh, äh, das weiß ich gar nicht. Da muß ich die Regierung fragen, Moment, die ist draußen im Auto. Er verläßt den Laden und erscheint kurz darauf mit einer streng dreinblickenden Dame, die die Sache regelt. Während er nach der Geldbörse kramt, kehrt sie auf dem Absatz um:     Dann kann ich mich ja wieder ins Auto setzen.

Hinterm Haus blüht eine Zierpflaume. Gelbe Rapsfelder stehen vor nackten Waldsäumen. Vermischte Kalenderblätter.

Die sich überschlagende Stimme der Nachbarin: "Do, ich habe schon das Telefon, gleich rufe ich die Weihnachtswichtel an, daß sie die Geschenke wieder abholen!" Das Nachbarskind ist offenbar nicht brav geblieben nach der Bescherung.

Und wie H.s Laune schwarz und schwärzer wird, als er sieht, was man den Kindern beschert hat: die Hälfte der teuren Sachen schon kaputt vom begierigen Auspacken, kein Spiel ohne mindestens pädagogischen Anspruch, und das Tablet bringt Werbung nach jedem geschafften Level.

Derweil verspüre ich wenig Lust auf Bilanzen. Jahr zu kurz, wie immer. Überhaupt, all die angefangenen und nicht zu Ende geschriebenen Texte; die geschriebenen und nicht eingeworfenen Karten.





Dienstag, 22. Dezember 2015

Aus dem längsten Schlaf des Jahres hat mich Amselgesang geweckt.





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